Offenes Feedback geben

Kunden betonen im Gespräch mit Beratern stets, dass sie ein offenes Feedback wünschen. Doch wehe ihr Berater hält sich in der alltäglichen Zusammenarbeit daran. Dann setzt er sich rasch in die Nesseln … und hat oft einige Zeit später einen Kunden weniger.

Soeben stieß ich beim Googeln auf die Webseite eines Trainers und Beraters, den wir circa ein Jahr im PR-Bereich unterstützten – bis ich mich 2019 als Unterstützer sozusagen selbst aus dem Rennen schoss.

Dabei lief die PR-Arbeit für den Berater, nennen wir ihn Blechle, eigentlich gut. Regelmäßig erschienen Artikel von ihm in relevanten Print- und Online-Medien – was den Berater anfangs sehr freute, weshalb der Kontakt mit ihm recht vertraut und persönlich war.

Deshalb erzählte er mir auch offen von seinen Problemen. Zum Beispiel darüber, dass sein Unternehmen nicht wie gewünscht wachse; außerdem, dass es ihm schwerfalle, ausreichend Aufträge zu generieren, um seine beiden freien Trainer auszulasten. Also gab ich ihm auch immer wieder Tipps, was er über die PR hinaus tun solle, um sein Unternehmen und dessen Leistungen besser zu vermarkten.

Tipps und Empfehlungen werden als Kritik empfunden

Doch irgendwann kippte die Stimmung – von mir zunächst unbemerkt und dann aus mir unerklärlichen Gründen. Bis Herr Blechle mir erzählte, dass seine rechte Hand, Frau Stöckle, die auch fürs Marketing zuständig war, sich regelmäßig bei ihm über meine an ihn und sie adressierten Mails beschwere. Denn darin gab ich den beiden auch Tipps, was sie im Marketingbereich verbessern könnten oder sollten. Zum Beispiel, die pdf’s der erschienenen Artikel mit anderen Dateinamen als beispielsweise „Mai2019_Zeitung-XY“ auf ihre Webseite hochladen. Oder in die Blogbeiträge Links auf andere Seiten der Webseite und zwei, drei Zwischenüberschriften mit relevanten Suchbegriffen integrieren. Oder ausgewählte erschienene Artikel per Mail an die Zielkunden senden. Oder …“. Diese Tipps empfand Blechles rechte Hand als Kritik an ihrer Arbeit, weshalb sie sich bei ihm hierüber beschwerte.

Doch leider nahm ich die mehr oder minder offen artikulierte Klage meines Kunden nicht ausreichend ernst. Ich gab ihm und somit auch seiner Assistentin vielmehr weiterhin – ohne Verkaufsabsicht – per Mail Tipps, was sie im Marketingbereich tun sollten. Bis ich eines Tages eine Mail von Herrn Blechle in meinem Mail-Account fand, er beende die Zusammenarbeit, weil ich seine Assistentin sozusagen „kirre mache“ und er keine Lust mehr auf ihre Klagen habe.

Was ich offensichtlich völlig unterschätzt hatte, war, welche Schlüsselrolle für einen Trainer und Berater, der die meiste Zeit auf Achse ist, seine Assistentin hat, die nicht nur während seiner Abwesenheit sein Büro „schmeißt“. Diese war für den Berater offensichtlich so groß, dass er im Konfliktfall lieber seinen PR-Unterstützer in die Wüste schickte, als das Risiko einzugehen, dass sich seine rechte Hand eventuell von ihm verabschiedet. Verständlich und nachvollziehbar!

Feedback löst interne Unstimmigkeit beim Kunden aus

In ähnliche Fallen bzw. Fettnäpfchen tappte ich während meiner fast 30-jährigen PR- und Marketing-Berater-Tätigkeit schon öfter – vermutlich auch aufgrund meines Selbstverständnisses als Berater. So gab mir bzw. uns, also den PRofilBeratern, vor fünf Jahren auch ein Beratungsunternehmen den Laufpass, das unter anderem eine offene Berater-Ausbildung anbot. Dieses hatte mich ebenfalls rein als PR-Unterstützer engagiert.

Ein zentraler Grund für meinen „Rausschmiss‘“ war: In den halbjährigen Treffen mit den drei Gesellschaftern des Unternehmens wies ich diese auch regelmäßig darauf hin, dass sie etwas tun sollten, damit man ihre Webseite besser im Netz findet – gerade, weil man die potenziellen Teilnehmer von offenen (Berater-)Ausbildungen nicht adress-mäßig erfassen und somit zum Beispiel auch nicht per Mail akquirieren kann.

Damit löste ich bei den drei Herren anscheinend nach den Treffen regelmäßig eine lebhafte Kontroverse aus, weil sie bezüglich meiner Empfehlung geteilter Meinung waren. Dies führte letztlich dazu, dass sie mir irgendwann mit der fadenscheinigen Begründung den Laufpass gaben, in naher Zukunft würden sich zwei der drei Gesellschafter aus Altersgründen aus dem Geschäft zurückziehen, weshalb sie keine PR-Unterstützung mehr bräuchten. Heute fünf Jahren später sind die drei Herren immer noch gemeinsam am Markt und versuchen ihre Beraterausbildung u.a. mittels AdWords-Anzeigen zu vermarkten, da man ihre Webseite und Ausbildung ansonsten bei der Suche im Netz nicht findet.

Ganzheitliche Beratung ist faktisch meist unerwünscht

Alle Tipps und Ratschläge, die ich Herrn Blechle und den Anbietern der Beraterausbildung gab, waren nach meiner felsenfesten Überzeugung richtig – und ich würde sie ihnen, wenn sie mich fragen würden, heute erneut geben. Trotzdem war mein Verhalten aus betriebswirtschaftlicher Warte bzw. unter Aspekten der Kundenbindung falsch.

Denn in meinem Marketingberater-Alltag sammle ich immer wieder die Erfahrung: Berater artikulieren zwar meist, sie möchten ganzheitlich oder umfassend beraten werden, selbst wenn sie einem nur als PR- oder SEO-Berater engagiert haben. Zudem wünschten sie sich von „Ihrem Berater“ ein offenes Feedback. Doch weist man sie im Alltag zu offen und nachdrücklich auf Versäumnisse oder Defizite im Bereich Marketing, Produktentwicklung, Kundenbetreuung usw. hin, kippt die Stimmung schnell. Sei es, weil sie dies als Kritik an ihrer Person und Unternehmertätigkeit empfinden oder fast noch häufiger, weil sie befürchten: Wenn ich dieses Manko beheben möchte, müsste ich einen Konflikt mit einer anderen Person eingehen – sei dies ein Geschäftspartner, ein Mitarbeiter oder ein anderer Dienstleister, mit dem sie sich auch emotional verbunden fühlen.

Deshalb kann die Empfehlung eigentlich nur lauten: „Oft hält man besser die Klappe“ – sofern man dies aufgrund seines Berater-Selbstverständnisses kann. Diesbezüglich habe ich offensichtlich Defizite.

„Die Klappe halten“ ist oft besser für die Kundenbeziehung

In einem ähnlichen Dilemma befinden sich übrigens fast alle Berater bzw. beratenden Berufe immer wieder – egal, ob auf ihrer Visitenkarte Coach, Trainer, (Unternehmens-, Steuer-, Finanz-, Rechts-)Berater oder sonst etwas steht. Auch sie stehen im Kundenkontakt häufig vor der Entscheidung,

  • welche der von mir konstatierten Defizite spreche ich offen an und
  • über welche schaue ich stillschweigend hinweg, um die Kundenbeziehung nicht zu gefährden.

Denn auch ihre Kunden artikulieren zwar häufig, dass sie sich ein offenes Feedback wünschen, doch wehe ein Berater, also Dienstleister, nimmt sie beim Wort und weist sie nachdrücklich auf Versäumnisse oder Lernfelder hin. Dann sind sie oft schnell pikiert und die Stimmung kippt.

Deshalb orientieren sie sich in ihrem Arbeitsalltag meist an der Maxime: „Schuster bleib‘ bei deinen Leisten“ – und sei dir stets bewusst, dass du nur ein externer Dienstleister bist, sofern du eine harmonische und langfristig ertragreiche Beziehung zu deinen Kunden wünschst.

Autor: Bernhard Kuntz

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