Viele Berater – gleich welcher Couleur – träumen davon, als „Keynote-Speaker“ fast wie im Schlaf ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Spitzenhonorare zu erzielen. Bei fast allen wird dies ein Tagtraum bleiben – außer sie arbeiten über Jahre hartnäckig daran, die hierfür nötige Bekanntheit und das hierfür nötige Image aufzubauen.

„Ich möchte Speaker werden“ – mit diesem Anliegen kontaktieren seit einigen Jahren Trainer, Berater und Coaches sowie Angehörige verwandter Berufsgruppen verstärkt Marketing- und PR-Agenturen. Diese Noch-nicht-Speaker lassen sich vereinfacht folgenden vier Personengruppen zuordnen:

  1. Schon leicht ergraute Berater, die auf ein erfolgreiches Beraterleben zurückblicken, sich mental bereits auf den Ruhestand einstimmen und dann nicht völlig in Vergessenheit geraten möchten, sondern ab und zu noch ihre Erkenntnisse und Erfahrungen an ein größeres Publikum weitergeben möchten.
  2. Inhaber etablierter Trainings- und Beratungsunternehmen, die das Halten von Vorträgen zum Beispiel bei Verbandstagungen primär als Marketinginstrument betrachten, um mit Neukunden in Kontakt zu kommen.
  3. Relative No-Names im Trainings- und Beratungsmarkt, die entweder ihr Geld leichter als bisher verdienen möchten und/oder getragen vom Gefühl „Ich habe der Menschheit etwas zu sagen“ sich nach mehr öffentlicher Anerkennung sehnen, und
  4. Newcomer im Trainings- und Beratungsmarkt, die aufgrund des Nimbus, mit dem sich manche (selbsternannte) Top-Keynote-Speaker umgeben und des Rummels, der seit dem Aufblühen der German Speakers Association (GSA) um das Speaker-sein entstanden ist, zur Überzeugung gelangt sind: „Im Speaker-Business liegt das Geld auf der Straße“ und „das, was die Lautsprecher der Szene können, das kann ich auch“.

Zumindest bei unserer Agentur lässt sich etwa ein Drittel der Personen, die sich mit der Anfrage „Können Sie mich beim Speaker-werden unterstützen?“ an uns wenden, den beiden erstgenannten Personengruppen zuordnen. Und ihre Ziele? Sie sind meist realistisch. Denn faktisch wollen sie nur „Teilzeit-Redner“ sein. Und das Ziel, ein absolutes Top-Honorar zu erzielen, hat für sie nicht höchste Priorität. Entweder weil sie ihre Schäfchen bereits im Trockenen haben oder weil sie mit ihren Vorträgen primär an lukrative Beratungsaufträge kommen möchten. Deshalb ist für sie die Frage „Wer ist bei meinen Vorträgen da?“ entscheidender als die Frage „Wie hoch ist mein Honorar?“.

Die meisten haben keinerlei Chance

Mindestens zwei Drittel der Anfragen entfallen jedoch auf die beiden letztgenannten Personengruppen. Das heißt, Männer und Frauen, die am liebsten Fulltime-Speaker wären, jedoch nüchtern betrachtet keine Chance haben, kurz- oder mittelfristig – das heißt, in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren – einen nennenswerten Teil ihres Lebensunterhalts, mit dem Halten von Reden zu verdienen. Ihr Wunsch „Speaker werden“ ist schlicht ein Tagtraum, von dem sie sich schnellstmöglich verabschieden sollten – zumindest wenn sie eine Familie zu ernähren haben. Denn sie erfüllen die Grundvoraussetzungen, um ein häufig gebuchter und gut bezahlter Redner zu werden, nicht.

Denn warum engagieren zum Beispiel Unternehmen, Verbände und Kongressveranstalter einen Redner oder „Keynote-Speaker“ für eine Veranstaltung? Primär aus drei Motiven.

Motiv 1: Sie wollen ihren „Gästen“ zum Beispiel einen schönen Abend bereiten, der ihnen im Gedächtnis haften bleibt, weshalb sie, wenn sie an die Veranstaltung denken, auch immer wieder positiv an den Veranstalter denken. Das ist bei vielen Firmenjubiläen und Kundenveranstaltungen der Fall. Für den Redner bedeutet dies:

  • Er muss entweder bereits einen gewissen Promi-Status haben (oder wie der Sohn von Helmut Kohl eine von seinem Vater geliehene Popularität), damit die Anwesenden anschließend stolz zu ihren Bekannten sagen können „Ich habe den XY schon mal live erlebt“ oder
  • sein Auftritt muss so pointiert und spritzig sein, dass die Anwesenden wie beim Comedy-Redner Dr. Jens Wegmann sich zum Beispiel vor Lachen biegen, weshalb sie gerne an den Abend denken.

Motiv 2: Sie wollen die Zuhörer zu einem Umdenken oder bestimmten Verhalten motivieren. Das ist bei vielen Kick-offs, Händlertagungen und Vertriebsmeetings der Fall. Dann muss der Experte aus Veranstaltersicht ein ausgewiesener Experte für das betreffende Thema – sei es Vertrieb, Changemanagement oder Motivation – sein, der den Zuhörern etwas zu sagen hat und seine Inhalte so präsentiert, dass er bei ihnen auf offene Ohren stößt.

Motiv 3: Sie benötigen ein Zugpferd, das den Saal mit zahlenden oder für den Veranstalter attraktiven Besuchern füllt. Das ist bei vielen Kongressen und Kundenveranstaltungen, die Unternehmen für Businesskunden oder Finanzdienstleister für ihre vermögenden Privatkunden durchführen, der Fall. Dann muss der Redner bei den Zielpersonen bereits eine hohe Bekanntheit haben und/oder aus deren Sicht ein ausgewiesener Experte für „…“ sein. Ansonsten verfügt er über die gewünschte Zugkraft nicht.

Ohne einen langen Atem geht gar nichts

Vereinfacht ausgedrückt heißt dies: Damit ein Speaker gebucht wird und das erträumte Spitzen-Honorar erhält, muss er entweder (bei seiner Zielgruppe) bereits einen Promi-Status haben oder er muss aus Veranstaltersicht – zum Beispiel aufgrund seiner (beruflichen) Biografie, Veröffentlichungen und Referenzen – ein ausgewiesener Experte für das von ihnen gewünschte Thema sein. Und diese Grundanforderungen erfüllen fast alle Newcomer sowie relativen No-names im Trainer- und Beratermarkt nicht. Deshalb sollten sie sich schnellstmöglich vom Tagtraum, ein Speaker zu werden, der 3000, 5000 oder gar mehr Euro pro Auftritt erhält und in zwei, drei Jahren hiervon leben kann, verabschieden.

Das heißt nicht, dass einige von ihnen – aufgrund ihrer Persönlichkeit, Kompetenz und ihres Redetalents – nicht das Potenzial hätten, dieses Ziel langfristig zu erreichen. Doch um dort anzukommen, müssten sie über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren Biografiearbeit betreiben und zum Beispiel durch

  • das Veröffentlichen von Büchern und Artikeln,
  • das Auftreten für ein Taschengeld auf „Provinz-Bühnen“,
  • das Publizieren von Videos von ihren Auftritten im Internet
  • und, und, und

darauf hinarbeiten, dass sie allmählich bei einer definierten Zielgruppe den Status „Experte für …“ erlangen – was außer viel Zeit meist auch eine Vorinvestition in einem hohen fünfstelligen Euro-Bereich erfordert. Denn ohne die Unterstützung von Marketing-Experten gelingt den meisten Möchte-gern-Rednern der Aufbau der Bekanntheit und des Images, das ein Speaker, der von seinem Beruf leben möchte, braucht, nicht.

Die echten Rednergrößen waren fast nie Berater

Hanebüchen ist es deshalb aus meiner Sicht, wenn einer der Granden der Speaker-Zunft, der zugleich Möchte-gern-Speaker ausbildet, coacht und vermarktet (und hiermit wohl das meiste Geld verdient), bei Auftritten vor Trainern, Beratern und Coaches verkündet: Wer Speaker werden möchte, sollte von seiner Webseite solche Begriffe wie Trainer und Coach streichen. Sonst öffne sich beim Kunden gedanklich eine deutlich niedrigere Honorarschublade. Und statt den in der Speakerszene „üblichen 5000 bis 6000 Euro pro Auftritt“ zahle er dann womöglich „nur den Trainertagessatz von 1700 Euro“.

Unabhängig davon, ob diese Aussage stimmt, erhebt sich die Frage: Und wovon sollen die Noch-nicht-Speaker in den Jahren leben, bis sie etablierte Speaker sind? Und womit sollen sie den Aufbau des Images und der Bekanntheit, die sie als Speaker brauchen, finanzieren – sofern sie nicht die Kinder reicher Eltern sind? Und wie viel Prozent der Redner, die sich zum Beispiel bei der GSA tummeln, werden wirklich so oft als Redner engagiert und erhalten dafür 5000 Euro und mehr, dass sie allein hiervon leben können? Vermutlich lassen sie sich, wenn nicht an zwei, dann doch an drei, vier Händen abzählen.

Für die echten Größen im Speaker-Business gilt: Sie waren in ihrem Leben nie oder nur für sehr kurze Zeit Berater (meist bei McKinsey). Sie waren entweder Fernsehgrößen wie Ulrich Wickert oder Top-Politiker wie Joschka Fischer oder Unternehmensführer wie Utz Claassen. Und wenn demnächst eventuell Jörg Middelhoff bei einem Wirtschaftskongress auf die Rednerbühne tritt? Dann erhält er mit Sicherheit ein absolutes Spitzenhonorar. Allein schon weil viele Manager neugierig sind: Wie tritt er auf? Im Büßergewand oder mit der gewohnten Arroganz? Verglichen mit diesen „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ sind fast alle Redner, die ihre Wurzeln in der Beraterzunft haben, kleine Lichter. Denn sie haben nicht die Biografien, die die echten Größen im „Redner-Business“ auszeichnen.

Möchte-gern-Speaker sind eine lukrative Zielgruppe

Ebenfalls fragwürdig ist es, wenn der bereits erwähnte Grande in der Speaker-Zunft verkündet: Angehende Speaker sollten auf ihren Webseiten keineswegs mit seriösen Referenzen und langen Dankesschreiben für sich werben, sondern ausschließlich „mit Exklamationen wie ‚Spitze‘, ‚Wow‘ oder ‚Super‘“.

Mit solchen Sprach-Rülpsern kann man vielleicht erreichen, dass man mal

  • auf einem Kreuzfahrtschiff einen Animations-Vortrag vor gelangweilten Touristen halten darf oder
  • im Rahmen der Vortragsreihe einer regionalen Tageszeitung, die verzweifelt nach neuen Einnahmequellen sucht, mal auf der Bühne zu „Lieschen Müller und ihren Freunden“ sprechen darf.

Doch die „üblichen 5000 bis 6000 Euro pro Auftritt“ erhält ein Redner hierfür nicht. Und der Industrie- oder Wirtschaftsverband, der sich durch solche sprachlichen Rülpser auf der Webseite eines Redners dazu motivieren ließe, diesen zu engagieren, der muss noch gegründet werden.

Trotzdem träumen viele Berater und Trainer den Traum „Ich möchte ein Top-Keynote-Speaker werden“ weiter. Und wenn man Menschen auf ihrer Wunschebene packt, dann kann man ihnen fast alles verkaufen. Das weiß jeder Verkäufer. Entsprechend viele Dienstleister versuchen inzwischen Trainer und Berater mit dem Tagtraum „Speaker werden“ als Kunden zu gewinnen, beispielsweise mit Werbetexten wie: „In Deutschland teilen sich über 300.000 Trainer, Berater und Coaches den Markt. Mit individueller und intensiver Arbeit erzielen Berater laut BDU einen durchschnittlichen Tagessatz von 1.109 Euro, Coaches laut Coachingreport 1.245 Euro und Trainer 1.470 Euro…. Dem stehen wenige Experten gegenüber, die weniger arbeiten und dabei ein Einkommen zwischen 200.000 Euro und 1,5 Millionen realisieren… Erfahren Sie, wie Sie diese scheinbar widersprüchlichen Ziele erreichen, …“ Mit diesen Worten bewirbt der bereits erwähnte Grande der Speaker-Szene seinen „Top-Speaker-Day“ für Möchte-gern-Speaker.

Offeriert werden den Noch-nicht-Speakern neben allen möglichen Ausbildungen, Coachings und Zertifizierungen auch solche Leistungen wie bezahlte Einträge in irgendwelche Redner-Lexika, Top-Speaker-Kataloge und ähnliche „unverzichtbare Nachschlagewerke für Unternehmer, Geschäftsführer und Entscheider“. Diese Werke sind so unverzichtbar, dass man sie meist nicht einmal bei Amazon beziehen kann. Und wenn doch? Dann liegt ihr Verkaufsrang bei circa einer Million. So gering ist die Nachfrage nach ihnen. Trotzdem werden vermutlich auch die nächsten Ausgaben dieser Lexika und Kataloge mit bezahlten Portraits von Möchte-gern-Rednern prall gefüllt sein – denn bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Träumen ja, doch nicht die Bodenhaftung verlieren

Dies soll kein Plädoyer dagegen sein, sich auf die Reise zum „Speaker sein“ zu begeben. Nein! Wer sich hierzu berufen fühlt, kann sich durchaus auf den Weg machen. Klar sollte aber allen Beratern, Trainern und Coaches, die sich hierfür entscheiden, sein: Die Reise zum Ziel „Speaker sein und davon gut leben können“ ist eine sehr, sehr lange und weite. Außerdem sollte ihnen bewusst sein: Selbst wenn sie das Ziel erreichen, werden sie vermutlich maximal sechs bis acht Mal pro Jahr ein Honorar von 5000 Euro und mehr erzielen. Meist wird ihr Honorar deutlich niedriger sein. Und vermutlich müssen sie weiterhin einen großen Teil ihres Lebensunterhalts mit Trainings, Beratungen und Coachings verdienen. (Was ist so schlimm daran?)

Jede andere Perspektive ist bei – sagen wir einmal – 98 Prozent der Trainer und Berater, die gern Speaker wären, unrealistisch; nicht weil sie schlechte Redner wären, sondern weil sie nicht die passenden Biografien haben – ganz egal, wie gute „Storyteller“ sie sind, das heißt, mit wie viel Prosa sie ihren Lebenslauf schmücken.

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