Die Top-Manager größerer Unternehmen haben schon oft (sich selbst und anderen Personen) bewiesen, dass sie extrem leistungsfähig sind. Entsprechend selbstbewusst sind sie. Deshalb lassen sie sich nicht von jeder Person zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung bewegen.
Wer wird zum Beispiel Vorstandsmitglied oder gar -vorsitzender eines Konzerns? Nur brillante Köpfe! Personen also, die extrem schnell im Aufnehmen, Strukturieren und Verarbeiten von Informationen sind; Männer und Frauen zudem, die schon oft bewiesen haben, dass sie Außergewöhnliches leisten können.
Entsprechend selbstbewusst sind die Top-Entscheider bzw. -Executives in den Unternehmen. Meist zu Recht! Trotzdem scheitern immer mehr Top-Manager. Sie müssen also entweder vorzeitig ihren Hut nehmen oder ihr Kontrakt wird nicht verlängert. Und immer häufiger werden aus Top-Managern, die vor kurzem noch von den Wirtschaftsmagazinen und Aktionären gefeiert wurden, scheinbar über Nacht „Versager“. Warum?
Top-Karrieren erfordern Durchsetzungskraft
Die Aufgaben der Top-Executives in den Unternehmen sind heute aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft, der Internationalisierung der Kapitalmärkte sowie zunehmenden digitalen Vernetzung so komplex, dass sie nur noch bedingt gemanagt werden können. Die Top-Entscheider können häufig nur noch eine Risikominimierung betreiben, indem sie die Dilemmata, vor denen sie bei ihrer Arbeit stehen, stets neu auszubalancieren. Dasselbe gilt für die oft widersprüchlichen Interessen der Stakeholder wie Anteilseigner und Banken, Kunden und Mitarbeiter.
Hierfür müssen die Top-Manager sicherstellen, dass in ihrer Organisation die richtigen Leute in den Führungs- und Entscheiderpositionen sitzen. Außerdem müssen sie mit ihren Kollegen im Top-Team und den Leitern der Unternehmenseinheiten ein Hochleistungsteam bilden. Denn allein können sie ihre Funktion in der Organisation und die Erwartungen der Stakeholder nicht erfüllen.
Und hier beginnt oft das Problem. In die Top-Etagen zumindest von Großunternehmen gelangen in der Regel nur „Alpha-Tiere“ – Menschen also, die
- aktiv die Führungsverantwortung suchen und
- wiederholt bewiesen haben, dass sie Organisationen erfolgreicher führen können als ihre Mitbewerber um Top-Positionen – aufgrund ihrer analytischen Intelligenz, ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie Durchsetzungsstärke.
Das prägt ihr Selbstbild, ihre Sicht auf Menschen, Situationen und Konstellationen sowie ihr Verhalten.
Alpha-Männer und -Frauen lieben Zahlen, Daten und Fakten. Die „weichen“ Faktoren im Management hingegen lenken, so ihre innere Überzeugung, nur vom Wesentlichen, dem Geschäftserfolg, ab. Und als brillante Analytiker haben sie oft schon eine Problemlösung parat, wenn ihr Gegenüber das Problem noch „analysiert“. Entsprechend ungeduldig reagieren sie zuweilen. Und entsprechend einschüchternd ist nicht selten ihr Auftreten.
Top-Manager sind „Alpha-Tiere“
Doch dann sind sie an der Unternehmensspitze. Und ihre engsten Mitstreiter sind wie sie „Alpha-Tiere“. Das heißt, sie verfügen über weitgehend dieselben Persönlichkeitsmerkmale und zeigen ähnliche Leitwolf-Attitüden. Und mit diesen Männern und Frauen müssen sie kooperieren und ein High-Performance-Team bilden, um ihre Funktion in der Organisation und die Erwartungen der Stakeholder zu erfüllen.
Das erfordert von den Top-Executives teils andere Fähigkeiten als diejenigen, die sie auf dem Weg nach oben zeigten. Denn statt wie bisher primär dafür zu sorgen, dass die aus dem Tagesgeschäft sich ergebenden Aufgaben erfüllt werden, müssen sie nun andere Menschen inspirieren. Und statt wie bisher weitgehend das Erreichen der operativen Ziele sicherzustellen, müssen sie nun
- die Weichen in Richtung Zukunft stellen,
- Menschen und Teams motivieren und sofern nötig
- gewohnte Pfade verlassen, damit Quantensprünge wieder möglich sind.
Das haben die Top-Executives zwar auch in der Vergangenheit schon getan – zum Beispiel als Leiter einer Unternehmenseinheit. Doch nun gehört dies zu ihren Kernaufgaben. Und ihre Gegenüber sind wie sie „Alpha-Tiere“, die ihnen nicht vorbehaltlos folgen. Entsprechend vielfältig sind die Reibungspunkte auf der Top-Ebene von Unternehmen – auch weil sich die Mitglieder der Top-Teams oft ähnlich misstrauisch beäugen wie die konkurrierenden Rüden in einem Wolfsrudel. Trotzdem müssen sie im Unternehmensalltag kooperieren, obwohl die meisten Alpha-Tiere eher Einzelkämpfer als Teamplayer sind.
Ziel: die Performance des Top-Teams erhöhen
Das erschwert es den Top-Executives oft, (gemeinsam) die Wirkung zu entfalten, die
- zum Erfüllen der Erwartungen der Stakeholder und
- Sicherstellen des künftigen Erfolgs des Unternehmens trotz sich rasant verändernder Rahmenbedingungen
nötig wäre. Doch das ist ihnen häufig nicht bewusst.
Entsprechend selten kontaktieren sie externe Berater mit Anfragen wie: „Können Sie mich (und meine Kollegen) dabei unterstützen, einen stärkeren Teamspirit zu entfalten?“ Der offizielle Anlass für die Kontaktaufnahme ist vielmehr stets ein akutes betriebliches Problem. Nach entsprechenden Kriterien erfolgt auch die Auswahl der Berater. Die Top-Executives müssen ihnen zutrauen, dass sie
- die Herausforderungen, vor denen ihre Organisation steht, kennen und verstehen, und
- einen realen Beitrag dazu leisten, diese zu meistern.
Diese Kompetenz schreiben Top-Manager meist nur Personen zu, die ähnliche Biografien wie sie haben. Für Berater, die zum Beispiel auf der CEO-Ebene multinationaler Konzerne agieren möchten, bedeutet dies: Ihre Biografie sollte eine gewisse Internationalität aufweisen. Und ihr Curriculum Vitae sollte Stationen und Positionen enthalten, die aus Sicht der Top-Entscheider für „Excellence“ stehen.
Alpha-Tiere wollen gefordert werden
Eine solche Biografie sorgt aber nur dafür, dass das Alpha-Tier an der Unternehmensspitze dem Berater fünf oder zehn Minuten Aufmerksamkeit schenkt. In dieser Zeit muss der Consultant dem Top-Entscheider das Gefühl vermitteln: Ich spreche Ihre Sprache und bin ähnlich „tough“ wie Sie. Dies gelingt Beratern nicht, indem sie Top-Managern nach dem Mund reden. Im Gegenteil! Top-Entscheider wollen spüren, dass ihnen eine Person mit Rückgrat gegenüber steht. Denn nur dann entsteht bei ihnen das Gefühl: Dieser Berater kann mich und meine Kollegen (heraus-)fordern und die gewünschte Entwicklung auslösen.
Nur wenn Top-Executives diesen Eindruck haben, schenken sie einem Berater mehr als fünf Minuten seiner wertvollen Zeit. Denn Alpha-Tiere wollen von Alpha-Tieren beraten werden. Nur Menschen mit einer solchen Ausstrahlung sind für sie – zumindest im Geschäftsleben – akzeptable Sparringpartner, deren Aussagen sie Bedeutung beimessen. Und das tun sie, wenn dies der Fall ist, auch. Denn Alpha-Tiere wollen etwas bewegen. Sie wollen Spuren hinterlassen. Deshalb sind sie an einer klaren Rückmeldung interessiert, wie sie ihre Wirksamkeit erhöhen könnten.
Ziel: die Wirksamkeit erhöhen
Beim Beraten und Coachen oberer Führungskräfte geht es selten darum, individuelle Schwächen zu beseitigen. Denn als Individuen sind die Top-Executives meist bereits spitze – sonst hätten sie ihre Position nicht erreicht. Das Ziel lautet vielmehr, ihre Wirksamkeit (in der Organisation) zu erhöhen. Das ist nur möglich, wenn klar ist:
- Wie wirken der betreffende Top-Manager und sein Verhalten auf sein Umfeld? Und:
- Welche Verhaltensweisen schmälern seine Wirksamkeit?
Deshalb sollte, wenn es darum geht, die Wirksamkeit eines Top-Executives zu erhöhen, stets das Feedback seiner Kooperationspartner eingeholt werden. Zudem sollte ihnen mitgeteilt werden, an welchen Punkten und mit welchem Ziel die betreffende Person ihr Verhalten ändern möchte. Denn nichts verunsichert Kollegen und Mitarbeiter so sehr, wie wenn zum Beispiel ein CEO oder Geschäftsführer plötzlich, scheinbar unmotiviert sein Verhalten ändert. Hierdurch wird er für sie unberechenbar.
Ähnlich verhält es sich, wenn die Wirksamkeit eines Top-Teams erhöht werden soll. Auch dann sollte den Teammitgliedern schnell vermittelt werden: „Wir machen das nicht zum Vergnügen. Vielmehr soll unsere Wirksamkeit als Team so erhöht werden, dass zum Beispiel
- die von den Kapitalgebern vorgegebene Umsatzrendite erreicht wird“ oder
- „uns die digitale Transformation (bzw. der Turnaround) trotz schrumpfender Kapitaldecke, gestiegener Rohstoff-, Energiekosten usw. gelingt.“
Im Fokus steht die „business challenge“
Der Anlass, initiativ zu werden, ist also eine aktuelle „Business Challenge“. Und damit diese bewältigt werden kann, ist es oft auch nötig, die individuellen und kollektiven Verhaltensweisen und -muster der Top-Team-Mitglieder zu thematisieren, die die gemeinsame Performance schmälern. Hierzu sind die meisten Top-Manager auch bereit – selbst, wenn es ihnen schwerfällt, mit Kollegen oder gar Untergebenen zum Beispiel darüber zu sprechen,
- warum sie deren Tun misstrauisch beäugen und
- viel Energie darauf verwenden, sich abzusichern.
Als Alpha-Tiere haben sie jedoch die Maxime „No pain, no gain“ verinnerlicht. Deshalb springen sie auch über ihren Schatten bzw. verlassen ihre Komfortzone, wenn dies für das Erreichen der übergeordneten Ziele nötig ist. Und genau dies muss der Berater bzw. Coach ihnen vermitteln, damit sich bei ihnen und in ihrer Organisation etwas zum Positiven verändert.
Über den Autor:
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.