Neuro-Leadership

Wer Menschen führen möchte, muss wissen, wie diese „ticken“ sowie was diese motiviert und antreibt. Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse helfen Führungskräften hierbei. Also sollten sie diese kennen.

Führung bzw. eine Führungskraft zu sein, ist eine komplexe Aufgabe, die nicht nebenbei erledigt werden kann. Darüber besteht heutzutage weitgehend ein Konsens.

Trotzdem stehen die Themen Führung und Leadership – zumindest praxisorientiert – im Lehrplan weniger Hochschulen. Deshalb übernehmen noch immer viele nachrückende Führungskräfte die Führungsstile ihrer Vorgesetzten: schlicht, weil sie es nichts anderes kennen (… und wissen: Wenn ich im Führungs-Mainstream mitschwimme, ecke ich nicht an).

Und dies, obwohl Führung (vermutlich) noch nie so anspruchsvoll wie heute war – nicht nur, weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schneller ändern als vor 10, 20 oder gar 50 Jahren, sondern auch, weil die Mitarbeitenden heute – auch aufgrund der veränderten Zusammenarbeit – zurecht andere Erwartungen an Führung haben.

Die Erkenntnisse der Hirnforschung beim Führen beachten

Eine Führungskraft, die heute eine echte Führungs-KRAFT sein möchte, die die gewünschten Wirkungen entfaltet, muss verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert: das eigene sowie das der Personen, die geführt werden und/oder mit denen eine Kooperation nötig ist.

Dabei hilft das sogenannte Neuro-Leadership. Dieser Begriff steht für

  • das Anwenden neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden auf die Mitarbeiter- und Teamführung und
  • das Schaffen einer Arbeitswelt, die außer dem Bedarf der Unternehmen auch den Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeiter entspricht.

Beim Neuro-Leadership werden die Erkenntnisse der Hirnforschung in den Führungsalltag übertragen. Es geht darum, besser zu verstehen,

  • wie wir Menschen ticken,
  • wie wir Entscheidungen treffen,
  • wie Motivation entsteht und
  • weshalb Stress unsere Wahrnehmung verengt.

Führungskräfte, die diese Zusammenhänge kennen, können nicht nur ihr eigenes Verhalten besser steuern, sondern auch das Zusammenspiel im Team produktiver und positiver gestalten.

Das eigene Denken und Handeln und das der Mitarbeiter verstehen

Wie bereits geschrieben, sind Führungskräfte heute extrem gefordert. Die zunehmend digitale Zusammenarbeit und Dauerbelastung sowie Informationsflut und Anforderung, stets ansprechbar zu sein und auf immer neue Herausforderungen zu reagieren, setzen nicht nur das menschliche Gehirn stärker unter Druck, als wir uns dies oft eingestehen – auch, weil die Führungskräfte heute häufig

  • trotz schlechter Daten- bzw. Informationslage weitreichende Entscheidungen treffen müssen und
  • Teams führen müssen, deren Mitglieder sie nur sporadisch sehen.

Vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen sowie den erforderlichen Zusammenhalt und die nötige Motivation zu gewährleisten, erscheint in diesem Kontext im Führungsalltag nicht selten als eine unüberwindbare Erfolgsbarriere.

Führungskräften, die beim Bewältigen dieser Aufgaben nur auf ihre Erfahrung setzen, laufen Gefahr, in alten, überholten Denk- und Handlungsmustern zu verharren. Neuro-Leadership liefert ihnen die Brille, mit der sie die Mechanismen im Hintergrund ihres Denkens und Handelns erkennen und bewusst den veränderten Rahmenbedingungen anpassen können.

Beim Führen die verschiedenen Facetten des Neuro-Leadership beachten

In der Literatur zum Thema Neuro-Leadership werden mehrere Aspekte, teils unterschiedlich stark betont. Manche Publikationen konzentrieren sich auf das sogenannte Neuro-Decision-Making – also die Frage, wie das menschliche Gehirn Entscheidungen trifft und warum Emotionen dabei oft das letzte Wort haben. Bei anderen liegt der Fokus eher auf der Neuro-Motivation und sie erklären, welche Botenstoffe dafür sorgen, dass Menschen bereitwillig Leistung erbringen. Wieder andere befassen sich primär mit der Neuro-Resilience, also der Fähigkeit, auch in Krisen handlungsfähig zu bleiben. Und immer häufiger wird auch das Thema Neuro-Collaboration erörtert, das unter anderem auf der Erkenntnis basiert, dass das menschliche Gehirn einen sozialen, Sinn vermittelnden Kontext braucht, um die volle Leistung zu erbringen und Wohlbefinden zu empfinden.

Am Ende läuft alles auf die simple Wahrheit hinaus: Man kann Menschen nur wirksam führen, wenn man versteht, wie der Mensch funktioniert. Neuro-Leadership zeigt die Zusammenhänge auf,

  • warum wir Menschen aktiv werden,
  • was in unseren Köpfen geschieht

und dieses Verständnis entscheidet darüber, ob man als Führungskraft Menschen mitnehmen und begeistern kann.

Führungskräfte brauchen neue Kompetenzen und Intelligenzen

Dies setzt aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen bei den Führungskräften zum Teil neue „Kompetenzen“ und „Intelligenzen“ (siehe Kasten) voraus. Um welche es sich hierbei handelt, beschreibe ich detailliert in meinem Buch „Führen mit Alpha Intelligence: Startklar für die Arbeitswelt der Zukunft“, in dem ich die neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse mit den aktuellen Herausforderungen im Bereich Management und Führung verknüpfe.

Doch wodurch unterscheiden sich Kompetenzen von Intelligenzen? Kompetenzen lassen sich durch ein wiederholtes Üben auf- und ausbauen. Sie manifestieren sich in Denk- und Verhaltens- bzw. Reiz-Reaktionsmustern, die wir regelmäßig zeigen – also Routinen, die mit konkreten Anforderungen korrespondieren.

Intelligenzen hingegen manifestieren sich in der Fähigkeit, situationsübergreifend zu agieren. Sie ermöglichen es,

  • Bekanntes mit Unbekanntem zu verknüpfen,
  • flexibel auf neue Kontexte zu reagieren und
  • kreative Lösungen jenseits eingespielter Routinen zu entwerfen.

Sie sind also dynamisch und kontextsensibel und zeigen sich besonders in unstrukturierten, unsicheren Situationen.

Ziel: Eine wirksame Führungskraft sein und bleiben

Unverzichtbar in unserer von rascher Veränderung

geprägten Welt ist für Führungskräfte unter anderem die Intelligenz

  • die eigenen Kompetenzen den unterschiedlichen Rahmenbedingungen anzupassen und
  • szenario-basierte Lösungen zu entwerfen.

Unlösbar verknüpft hiermit sind folgende Fähigkeiten, die Führungskräfte aufgrund der oft nur bedingt vorhersehbaren – und somit auch überraschenden – Veränderungen als Leader ihrer Bereiche und Mitarbeiter zunehmend brauchen, um ihnen möglicherweise gangbare Wege aufzuzeigen und ihnen die Zuversicht „Wir schaffen das“ zu vermitteln.

  1. Fähigkeit zur Antizipation – also zum gedanklichen Vorwegnehmen (möglicherweise) zu erwartender Ereignisse, um trotz bestehender Unsicherheiten entscheidungsfähig zu sein.
  2. Adaptionsfähigkeit – also die Fähigkeit, flexibel und vorausschauend mit dem Wandel umzugehen statt sich ihm nur reaktiv anzupassen. Sie ist für Führungskräfte heute essenziell, denn: Wer nur reagiert, hinkt stets einen Schritt hinterher. Wer hingegen Entwicklungslinien früh erkennt, kann gezielt agieren – mit Weitblick und strategischem Gespür, was oft den entscheidenden Vorsprung bewirkt.
  3. Metakognition – also die Fähigkeit, das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, um neue Lernfelder zu entdecken und sich flexibel Herausforderungen anzupassen.

Neuro-Leadership: die Grundlage für Führung im 21. Jahrhundert

Die genannten Intelligenzen und Kompetenzen bzw.  Fähigkeiten gilt es Führungskräften zu vermitteln, da sie für ein Neuro-Leadership unverzichtbar sind, das versucht, unter anderem unter Rückgriff auf die neusten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse Lösungen für die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu finden. Sie bilden sozusagen die Grundlage für eine erfolgreiche Führung im 21. Jahrhundert.

Deshalb habe auch ich in den letzten Jahren – trotz jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich Leadership und Führungskräfteentwicklung – aufbauend auf meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften noch einen Master in Neurowissenschaften erworben und Ausbildungen zum Business- und Management-Mentalcoach absolviert.

Denn nur mit einem soliden Know-how in diesem Bereich – so meine Überzeugung – schaffen es Führungskräfte heute, inspirierend, menschlich und zugleich wirksam zu führen.


Die fünf Dimensionen einer alpha-intelligenten Führungspersönlichkeit

> ALPHA PERSONALITY 

PERSÖNLICHKEITSINTELLIGENZ: Meister*in der Selbstführung

Starke Führungspersönlichkeiten führen zuerst sich selbst: mit Klarheit, Selbstbewusstsein und innerer Stabilität. Personen mit einer stark ausgeprägten Alpha Personality handeln aus tiefer Selbstkenntnis heraus, nicht aus dem Wunsch, zu gefallen. Sie behalten das große Ganze im Blick und bleiben auch in unsicheren Zeiten flexibel und wirksam. Kontrolle loslassen, Haltung zeigen, Orientierung geben – das ist ihr Stil. Ihr stärkstes Führungsinstrument: der reflektierte Umgang mit sich selbst.

> ALPHA RELATIONS

> BEZIEHUNGSINTELLIGENZ: Architekt*in von Verbindungen

Führung entfaltet ihre Wirkung in Beziehungen – nicht in Anweisungen. Alpha Relations bedeutet, empathisch zu handeln, Vertrauen zu schaffen und andere wirklich zu erreichen. Führungskräfte mit dieser Intelligenz wissen: Der Beziehungsmanager ist der wahre Gewinner im Team – und Netzwerke sind das neue Kapital. Sie gestalten tragfähige Verbindungen, intern wie extern, und etablieren eine sinnstiftende Beziehungskultur.

> ALPHA DIGITALITY

DIGITALINTELLIGENZ: Virtuos*in der digitalen Welt

Digitale Intelligenz heißt: den digitalen Raum verstehen und menschlich gestalten. Alpha Digitality zeigt sich darin, neue Technologien nicht nur zu bedienen, sondern sinnvoll für Zusammenarbeit einzusetzen.

Wer sie lebt, bringt Struktur in die digitale Vielfalt, schafft Orientierung und reduziert Komplexität. Es geht nicht um Technikbegeisterung, sondern eine verantwortungsvolle Nutzung – mit dem Ziel, Menschen zu verbinden.

Von modernen Führungskräften wird erwartet, dass sie digitale Zusammenhänge erfassen, Lust auf Neues wecken und dabei den menschlichen Takt nicht verlieren.

> ALPHA RESILIENCE

STABILISIERENDE INTELLIGENZ: „Krisen-Flüster*in“ mit einer klaren Haltung

Diese Alpha-Facette zeigt sich, wenn andere den Halt verlieren: Führung mit stabilisierender Intelligenz schafft Orientierung, bleibt ruhig im Sturm – und gibt dem Team das Gefühl, getragen zu sein.

Führungskräfte mit dieser Intelligenz erkennen Chancen im Chaos, treffen Entscheidungen trotz Unsicherheit und vermitteln ganz klar: „Wir schaffen das zusammen, wenn ….“. Sie spüren, was Menschen jetzt brauchen – Halt, Hoffnung und Richtung – und inspirieren dazu, auch in herausfordernden Zeiten weiterzugehen. Ihre Stärke liegt darin, Mut zu machen, wo andere zweifeln.

> ALPHA SYNERGY

> INTEGRATIVE INTELLIGENZ: Cyborg der Kollaboration

Führung an der Schnittstelle von Mensch und Technologie. Alpha Synergy steht für die Fähigkeit, Führung im Zusammenspiel mit Technologie neu zu denken. KI ist nur der Anfang – die Rolle des Menschen inmitten intelligenter Systeme steht zunehmend auf dem Prüfstand.

Alpha-intelligente Leader treffen bewusst Entscheidungen darüber, wo Maschinen unterstützen dürfen – und wo Menschlichkeit unverzichtbar bleibt. So entsteht echte Synergie: durch reflektierte, verantwortungsvolle Technologieführung mit Haltung.

Barbara Liebermeister (IFIDZ, Wiesbaden)


Über die Autorin:

Liebermeister-BarbaraBarbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden. Sie ist u.a. Autorin des Buchs „Führen mit Alpha Intelligence: Startklar für die Arbeitswelt der Zukunft“, das im Mai 2025 im Haufe-Verlag erschienen ist. Die Managementberaterin hält nicht nur Vorträge zum Thema Neuro-Leadership bzw. Alpha Intelligence. Sie führt auch Seminare zu diesem Thema unter anderem mit dem Titel „Neuro-Leadership – Führen mit Herz, Hirn und Haltung“ durch.

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