Viele Führungskräfte haben eine ambivalente Haltung gegenüber einem verstärkten KI-Einsatz in ihrem Unternehmen. Sie forcieren ihn deshalb eher zögerlich, auch weil nötige strategische Vorgaben fehlen. Das zeigte eine Online-Befragung von Führungskräften.
„Was kommt da noch auf uns zu?“ Das fragen sich aktuell im Zusammenhang mit der potenziellen Nutzung von KI-Systemen und -Tools im Betriebsalltag nicht nur die Mitarbeiter vieler Unternehmen, sondern auch deren Führungskräfte. Ausgelöst wird diese Verunsicherung unter anderem dadurch, dass gefühlt aktuell die gesamte (Business-)Welt über das Thema „Künstliche Intelligenz“ spricht. Zudem laufen in vielen Unternehmen zumindest schon Pilotprojekte und -versuche zur Nutzung der KI.
Mitarbeiter ahnen, welches Veränderungspotenzial noch in der KI ruht
Diese beschränken sich im Gros der Unternehmen zwar noch weitgehend auf die Bereiche Marketing, Vertrieb und Unternehmenskommunikation. Dessen ungeachtet erahnen jedoch schon viele Mitarbeiter, auch aufgrund erster eigener Nutzungsversuche solcher Programme wie ChatGPT, Deepl und Copilot welch enormes Entwicklungs- und Innovationspotenzial noch in der KI-Technik ruht – ein Potenzial, das nicht nur die Macht hat, einzelne Arbeitsprozesse zu verändern, sondern auch die Struktur und Geschäftsmodelle von Unternehmen sowie die Zusammenarbeit in ihnen. Und zwar speziell dann, wenn sich die KI mit der Robotik und Automatisierung zur sogenannten KIRA verbindet.
Diese Ist-Situation war für das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden, der Anlass, sich bei seinem jüngsten Leadership-Trendbarometer mit den Fragen zu befassen,
- wie stark werden KI-Tools von den Führungskräften in den Unternehmen heute im Arbeitsalltag schon genutzt,
- wie sehr forcieren sie deren Einsatz in ihrem Bereich und
- inwieweit erwarten sie, dass sich durch deren Einsatz die Führungskultur in den Betrieben ändert.
An dieser Online-Befragung nahmen 275 Führungskräfte in Unternehmen verschiedener Branchen teil (Deutschland: 173; Schweiz: 54; Österreich: 48). Ihr zentrales Ergebnis war: Die meisten Führungskräfte haben ein ambivalentes Verhältnis zur KI-Nutzung in ihrem Betrieb sowie in ihrem eigenen Arbeitsalltag.
Führungskräfte erachten KI-Einsatz als erfolgsrelevant…
So sind zwar 84,5 Prozent der befragten Führungskräfte überzeugt, dass ein professioneller KI-Einsatz für den Erfolg der Unternehmen in ihrer Branche eine „hohe“ oder gar „sehr hohe“ Bedeutung hat; nur 22,5 Prozent von ihnen nutzen jedoch solche KI-Tools wie ChatGPT, Deepl und Copilot heute schon nahezu täglich. Dabei fällt auf, dass Letztere meist im Marketingbereich bzw. in der Unternehmenskommunikation angesiedelt sind. Das heißt, beim Gros der Führungskräfte sind solche KI-Tools noch nicht in den Arbeitsalltag integriert, obwohl immerhin 55,6 Prozent angeben, sie würden diese zumindest einmal pro Woche nutzen.
Als Gründe für diese eher zögerliche Nutzung, obwohl der KI-Bahnbrecher ChatGPT bereits vor 1,5 Jahren zur allgemeinen Nutzung freigeschaltet wurde, nennen die Führungskräfte, die KI-Tools seltener als ein Mal pro Monat oder gar nicht nutzen
- „Keine entsprechende Förderung im Unternehmen“ (34,8 Prozent)
- „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“ (24,6 Prozent) und
- „Zeitmangel“ (18,4 Prozent).
Insbesondere die hohe Zustimmung zum Item „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“ deutet auf eine tendenzielle Überforderung der Führungskräfte hin. Folglich wären eine diesbezügliche Förderung und Unterstützung von ihnen seitens der Unternehmen wichtig. Entsprechendes gilt für den Befund, dass fast jede fünfte Führungskraft äußert, sie nutze aus „Zeitmangel“ so selten KI-Tools. Dies deutet auf eine falsche Prioritätensetzung bei vielen Führungskräften hin, zumindest wenn zugleich das Gros von ihnen betont, ein professioneller KI-Einsatz habe für den Erfolg ihres Unternehmens eine „hohe“ bis „sehr hohe“ Relevanz.
… forcieren die KI-Nutzung aber eher zögerlich.
Mit der eher zögerlichen eigenen KI-Tool-Nutzung der Führungskräfte korrespondiert, dass sich nur 21,1 Prozent von ihnen aktiv für eine stärkere Nutzung der KI-Technik in ihrem Arbeitsumfeld einsetzen. Dies überrascht nicht, da nur etwa jede vierte Führungskraft (26,1 Prozent) es als eine ihrer strategischen Hauptaufgaben begreift, den KI-Einsatz in ihrem Verantwortungsbereich voranzutreiben, und sich hierfür „stark verantwortlich“ fühlt. Die Majorität von ihnen fühlt sich nur in gewissen Anwendungsfällen bis „überhaupt nicht“ hierfür zuständig. Dies deutet auf ein signifikantes Engagement-Defizit der Führungskräfte im KI-Bereich hin.
Dem widerspricht, dass
- 43,0 Prozent der Führungskräfte äußern, das Thema KI spiele bei ihren strategischen Planungen bereits eine wichtige Rolle, und
- 47,3 Prozent angeben, ihre Unternehmen böten für ihre Mitarbeiter bereits Schulungen an, um die KI-Integration zu unterstützen.
Dem mittleren Management fehlt oft die nötige Orientierung
Die oft inkonsistenten Aussagen der Führungskräfte bei der Befragung zeigen nach Auffassung des IFIDZ, dass sich viele von ihnen dem Thema KI-Einsatz in ihrem Bereich und Arbeitsalltag aktuell noch wenig systematisch und eher zögerlich nähern – auch weil in ihren Unternehmen noch kein Konsens bzw. Alignment darüber existiert, wie mit diesem Zukunftsthema umzugehen ist. Auch entsprechende strategische Vorgaben fehlen.
Als Gründe für ihr eher geringes Engagement für einen stärkeren KI-Einsatz nennen die Führungskräfte unter anderem Datenschutzbedenken, die in ihrer Organisation bestehen (62,7 Prozent). Zudem befürchten mehr als zwei Drittel von ihnen (72,8 Prozent), dass bei einem übermäßigen KI-Einsatz das kritische Denken und die menschliche Urteilsfähigkeit in ihrer Organisation verloren gehe. Als weiteres Problem wird die Integration der KI-Lösungen in die bestehenden Arbeitsabläufe und -strukturen genannt. So äußerten in den vertiefenden narrativen Interviews, die das IFIDZ mit etwa 15 Prozent der Befragungsteilnehmer im Anschluss an die Online-Befragung führte, diese immer wieder die Befürchtung, dass sie bei einem Vorpreschen ihrerseits im KI-Bereich nicht nur Probleme mit ihren Mitarbeitern, sondern auch kooperierenden Bereichen und eventuell gar der Unternehmensleitung bekämen.
Diese Befürchtung ist begründet, da in den meisten Unternehmen deren Kernleistungen heute in bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht werden. Deshalb wirken sich Prozessänderungen in einem Bereich oft auf Nachbarbereiche aus. Auch die Unternehmenskultur wird beeinflusst. Deshalb sind neben strategische Zielvorgaben auch Rahmenbestimmungen seitens der Unternehmensleitung unabdingbar, wenn Unternehmen
- die potenziellen Chancen, die sich aus einem KI-Einsatz zum Steigern des Erfolgs und zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ergeben, nutzen möchten und
- wünschen, dass sich ihre Führungskräfte für einen stärkeren KI-Einsatz engagieren.
Ansonsten fehlt den Führungskräften die nötige Orientierung und sie bleiben weitgehend inaktiv bzw. ihr Engagement beschränkt sich auf einen punktuellen KI-Einsatz in ihrem Verantwortungsbereich.
Führungskräfte fühlen sich von der KI latent bedroht
Klare strategische Vorgaben sind auch nötig, weil zumindest ein Teil der Führungskräfte bei einem verstärkten KI-Einsatz mittelfristig einen Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet – insbesondere dann, wenn dieser zu einer verstärkten Automatisierung von Aufgaben und Prozessen führt. Zwar äußerten in der Online-Befragung nur 20,3 Prozent der Führungskräfte eine entsprechende Befürchtung, in den vertiefenden Interviews wiesen sie aber immer wieder darauf hin, dass ein verstärkter KI-Einsatz sich selbstverständlich auch auf die Führungssituation auswirke und zwar allein schon deshalb, weil bei einer eventuell sinkenden Mitarbeiterzahl auch weniger Führungskräfte benötigt würden.
Auffallend war, dass dieses Gefühl der Bedrohung am ausgeprägten bei den Führungskräften in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Unterkommunikation ist, in denen KI-Tools bereits überproportional stark genutzt werden; außerdem in solchen Stabsabteilungen wie Finanzen und Controlling, in denen eine Vielzahl von Daten zu erfassen und verarbeiten sind. Die Führungskräfte in der Produktion und in den produktionsnahen Bereichen hingegen äußerten solche Bedenken nicht. Sie verwiesen eher darauf, dass ein möglicher KI-Einsatz ihnen mittelfristig eventuell sogar helfen könne, das Problem Fachkräftemangel zu lösen.
Bereichsübergreifendes Gesamtkonzept ist nötig
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es auch, wenn es um das Beantworten der Frage geht, welche Unterstützung die Führungskräfte seitens des Unternehmens brauchen, um den KI-Einsatz in ihrem Bereich zu forcieren, einer differenzierten Betrachtung bedarf; also einer Lösung, die unter anderem berücksichtigt,
- welcher Funktion hat der Bereich in der Organisation,
- wozu soll die KI in ihm genutzt werden und
- welche Auswirkungen hat der verstärkte KI-Einsatz auf die dort beschäftigten Mitarbeiter und die (bereichsübergreifende) Zusammenarbeit.
Diese Überlegungen müssen wiederum in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, was das Unternehmen durch den verstärkten KI-Einsatz erreichen möchte – auch um zu vermeiden, dass auf der Bereichsebene viele Insellösungen entstehen, die wiederum Folgeprobleme in der Gesamtorganisation bewirken.
Manifest für eine verantwortungsvolle KI-Nutzung
Seit fünf Jahren leite ich ehrenamtlich den Fachbeirat der Integrata Stiftung für humane Nutzung der Informationstechnologie. In dieser Funktion habe ich mit Datenspezialisten und anderen eher technikaffinen Menschen – bereits, bevor durch ChatGPT die generative KI eine so breite Aufmerksamkeit erhielt – ein Manifest für eine kluge und verantwortungsvolle KI-Nutzung geschrieben. Unsere Leitidee hierbei war: KI soll die Führung unterstützen, doch nicht ersetzen. Führung bleibt menschlich, denn sie ist und bleibt Beziehungsarbeit.
In dem Manifest haben wir neun Grundsätze formuliert, die Führungskräften als Richtschnur dienen:
- Menschliche Führung bleibt zentral – Führung bedeutet, Beziehungen zu gestalten. KI kann zwar Daten liefern, doch keine authentische Empathie zeigen. Die Kernverantwortung bleibt deshalb in menschlicher Hand.
- Verantwortlichkeit ist nicht an Technik delegierbar – KI darf nie als Verantwortungsersatz dienen. Wer sie einsetzt, muss ihre Handlungen überblicken und die Verantwortung dafür tragen.
- KI als Unterstützung, nicht als Entscheider – Automatisierung kann den Alltag erleichtern, doch am Ende braucht es immer eine Führungskraft, die das letzte Wort hat.
- Klare Grenzen für den KI-Einsatz – Der Rahmen des KI-Einsatzes muss klar definiert sein: Welche Aufgaben kann sie übernehmen, wo endet ihre Rolle?
- Regulierte Autonomie – Wenn KI gewisse Entscheidungen vorbereiten oder treffen soll, muss es abgestufte Kontrollsysteme geben.
- Transparenz als Grundprinzip – Führungskräfte und Mitarbeitende müssen verstehen, wie die KI zu ihren Vorschlägen und Analysen kommt.
- Jede KI-Entscheidung muss überprüfbar sein – Menschen müssen nachvollziehen können, welche Mechanismen hinter einer KI-basierten Entscheidung stehen, um sie bei Bedarf korrigieren zu können.
- Hohe Qualitätsstandards als Maßstab – Vor der Implementierung von KI müssen klare Kriterien definiert werden, die deren Wirksamkeit, Sicherheit und Verlässlichkeit sicherstellen.
- Gesetzliche Anpassungen mitdenken – Der Einsatz von KI in der Führung erfordert auch rechtliche Rahmenbedingungen, die Verantwortung und Haftung eindeutig klären.
Ein solches Manifest bleibt nur Papier, wenn es in der Praxis nicht gelebt wird. Deshalb haben wir in dem Beirat für die Anwendung dieser Prinzipien drei wesentliche Bedingungen erarbeitet:
- Klare Rahmenbedingungen. Zeitlich, räumlich und organisatorisch muss festgelegt sein, wie KI im Führungskontext eingesetzt wird.
- Eindeutige Haftung. Die Verantwortung für jede Entscheidung, die KI beeinflusst oder trifft, muss einer Führungskraft zugeordnet sein.
- Lückenlose Dokumentation. Jede KI-gestützte Entscheidung, die Menschen betrifft, muss transparent und nachverfolgbar sein.
Diese Prinzipien sollen sicherstellen, dass KI als Hilfsmittel genutzt wird, doch niemals an die Stelle von menschlicher Führung tritt. Die Handlungsmaxime lautet: Der Mensch führt; die Technologie folgt.
Über die Autorin:
Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden (www.ifidz.de). Sie ist u.a. Autorin des Buchs „Die Führungskraft als Influencer: Wie man Mitarbeiter als Follower gewinnt“.