Strategisches Management

Unsere Mitarbeiter sollen mehr Eigeninitiative und Engagement zeigen. Das fordern viele Unternehmen. Das können ihre Mitarbeiter nur, wenn sie wissen, wohin sich das Unternehmen entwickeln möchte und an welchen Maximen sich ihr Handeln orientieren soll. Deshalb sollte jedes Unternehmen außer einer Vision ein Leitbild haben, das alle Mitarbeiter kennen.

Die meisten Unternehmen stehen heute unter einem hohen Wettbewerbs- und Veränderungsdruck. Diesen können sie nur mit Mitarbeitern meistern, die bei ihrer Alltagsarbeit ein hohes Engagement sowie viel Eigen- und Eigenverantwortung zeigen. Dies setzt voraus, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – unter anderem, weil sie

  • selbst die gewünschte Wertschätzung erfahren,
  • wissen, was die Ziele des Unternehmens sind, und
  • ihr Tun und Handeln als sinnvoll erfahren.

Das ist in vielen Unternehmen nicht der Fall. Das führt zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten, aber auch bei der Unternehmensleitung, weil die Organisation nicht die gewünschte Performance zeigt. Entsprechend ist das Betriebsklima: Die Mitarbeiter schimpfen auf „die da oben“ und „die da oben“ auf „die da unten“. Und zwischen diesen beiden Fronten werden die operativen Führungskräfte aufgerieben. Denn sie müssen im Alltag dafür sorgen, dass der Betrieb läuft.

Eine zentrale Ursache hierfür ist: In vielen Unternehmen fehlt eine gemeinsame, hierarchie- und abteilungsübergreifend getragene Unternehmensvision und ein hieraus abgeleitetes Leitbild für das Alltagshandeln. Deshalb können die Mitarbeiter weder nachvollziehen, warum die Unternehmensleitung gewisse Entscheidungen trifft, noch wissen sie, an welchen Zielen und Maximen sich ihr Handeln orientieren soll. Also müssen sie weitgehend per operativer Anweisung geführt werden, was Frust bei den Mitarbeitern und ihren Vorgesetzen erzeugt – aber auch bei der Unternehmensleitung erzeugt, weil die Organisation nicht die gewünschte beziehungsweise aufgrund der Marktbedingungen nötige Dynamik entfaltet.

Wohin wollen wir uns entwickeln?

Das Entwickeln der Unternehmensvision ist die Aufgabe der Unternehmensleitung. Sie muss ausgehend von ihrer Kenntnis des Marktes, des Unternehmensumfelds sowie der Stärken und Schwächen der Organisation und der Chancen und Risiken, die sich hieraus ergeben, entscheiden, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. In diesen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess können zwar ausgewählte Mitarbeiter integriert werden; doch letztlich muss die Unternehmensleitung zum Beispiel entscheiden:

  • „Wir wollen der Marktführer für „….“ im deutschsprachigen Raum (oder in Buxtehude) werden.“ Oder:
  • „Wir wollen das innovativste Unternehmen in unserer Branche sein.“ Oder:
  • „Wir wollen uns vom Teilelieferanten zum Problemlöse-Partner für unsere Kunden entwickeln.“

Diese Vision muss die Unternehmensleitung an die Mitarbeiter kommunizieren. Denn hieraus leiten sich die übergeordneten Ziele ab, die es bei der Alltagsarbeit zu erreichen gilt.

Welche „Werte“ bestimmen unser Verhalten?

Anders sieht es beim Unternehmensleitbild aus. Es beschreibt, nachdem die Unternehmensvision steht, sozusagen die Handlungsmaximen, von denen sich die Mitglieder der Organisation bei ihrer Arbeit leiten lassen; außerdem die Werte, die den Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern sowie den Stakeholdern wie Kunden und Lieferanten, aber auch Kapitalgebern prägen sollen. In das Formulieren des Unternehmensleitbilds sollten die Mitarbeiter nicht nur integriert sein, sie müssen in diesen Prozess integriert sein, denn sie müssen die gemeinsamen Werte im Arbeitsalltag leben.

Ein aus der Unternehmensvision abgeleitetes Unternehmensleitbild bietet den Mitarbeitern Orientierung und Sicherheit, denn es definiert den Rahmen, in dem sich ihr Handeln bewegen sollte. Folglich ist es auch eine zentrale Grundlage, damit die Mitarbeiter mehr Eigeninitiative und -engagement zeigen können. Das führt wiederum dazu, dass die Führungskräfte ihre Mitarbeiter weniger per Anweisungen führen müssen, da diese die Ziele kennen, die es zu erreichen gilt, und die Maximen, an denen sich ihr Handeln orientieren soll. Somit ist die Existenz einer Unternehmensvision und eines Unternehmensleitbilds auch die Grundlage für ein von Vertrauen, wechselseitiger Wertschätzung und einer offenen Kommunikation geprägtes Miteinander in der Organisation, das wiederum zu einer höheren Leistungsfähigkeit und -bereitschaft führt.

Ein Unternehmensleitbild entwickeln

Der erste Schritt zum Entwickeln eines Unternehmensleitbildes, nachdem die Unternehmensvision steht, ist in der Regel eine Analyse der Werte sowie der Denk- und Handlungsmuster, die aktuell die Organisation prägen. Hieraus kann dann abgeleitet werden, inwieweit diese sich ändern sollten, damit die übergeordneten Ziele wie „zufriedene Mitarbeiter“, „… Kunden“ und „… Kapitalgeber“ erreicht werden. Mit einem Soll-Ist-Vergleich kann dann bezogen auf die Gesamtorganisation sowie die Bereiche und Teams ermittelt werden, wo der größte Handlungsbedarf besteht, so dass ein Maßnahmenplan für die Entwicklung des Unternehmens in Richtung Unternehmensvision entworfen werden kann.

Beim Entwickeln des Unternehmensleitbilds beschreiten die Unternehmen meist einen der folgenden zwei Wege.

Weg 1: Großgruppen-Event mit (fast) allen Mitarbeitern

Zum Auftakt des Leitbild-Entwicklungsprozesses findet eine Veranstaltung mit (fast) allen Mitarbeitern statt. Bei diesem Großgruppen-Event werden in der Regel, nachdem Vertreter der Unternehmensleitung das Vorhaben vorgestellt haben, zunächst die Anregungen und Ideen der Mitarbeiter gesammelt – mit oder ohne inhaltliche Vorgaben. Danach werden diese in Kleingruppen bearbeitet und anschließend die Ergebnisse der Gruppenarbeit im Plenum präsentiert.

Ein solches Vorgehen hat den Vorzug: Der Prozess der Leitbildentwicklung startet bereits mit einer hohen Mitarbeiterbeteiligung; entsprechend groß ist bei einer professionellen Planung und Durchführung die hieraus erwachsende Veränderungsenergie.

Das Ergebnis des Events ist meist ein großer Fundus möglicher Elemente des Leitbilds. Aus ihm kann dann eine Projektgruppe einen ersten Entwurf des Unternehmensleitbilds erarbeiten, der dann in einem zweiten Großgruppen-Event mit den Mitarbeitern erörtert wird.

Weg 2: Projektgruppen-Arbeit mit repräsentativer Beteiligung

Speziell größere Unternehmen mit mehreren Standorten wählen – weil es ihnen meist schwerfällt, an einem Tag (fast) alle Mitarbeiter an einem Ort zu versammeln – oft folgendes Vorgehen: Eine Projektgruppe erhält von der Unternehmensleitung den Auftrag, ein Leitbild zu entwickeln. Ein oder mehrere neutrale Moderatoren erarbeiten daraufhin mit Vertretern der verschiedenen Standorte sowie Bereiche und Funktionsgruppen im Unternehmen die Elemente eines solchen Entwurf – nachdem sie sich zuvor beispielsweise mit folgenden Fragen befasst haben:

  • Wie verändert sich der Markt des Unternehmens?
  • Welche Chancen und Risiken ergeben sich hieraus?
  • Welche Herausforderungen muss das Unternehmen meistern?
  • Auf welche Ressourcen kann sich das Unternehmen dabei stützen? Welche Stärken/Schwächen hat das Unternehmen?

Die Antworten werden zentral gesammelt, und fließen in die Entwicklung des konkreten Leitbilds durch die Projektgruppe ein. Außerdem dienen sie als Grundlage für das Definieren von Lern-, Entwicklungs- und Handlungsfeldern im Unternehmen.

Das Formulieren und Einführen eines Unternehmensleitbilds ist ein zeitintensiver Prozess, der einige Ressourcen bindet – nicht nur wegen der großen Zahl der Beteiligten, sondern auch weil in ihm oft Fragen und Dilemmata auftauchen, die

  • zuvor niemand auf der Agenda hatte oder
  • bei denen zum Beispiel der Unternehmensleitung oder Projektgruppe vorab nicht bewusst war, welche Bedeutung diese für die Mitarbeiter haben.

Gerade weil dieser Prozess bezogen auf viele Fragen, die zahlreiche Beteiligte (latent) bewegen, Klarheit schafft, lohnt sich jedoch der Energieeinsatz. Denn sie bewirkt letztlich eine höhere Motivation und Identifikation sowie ein „Zusammenrücken“ der gesamten Organisation, wodurch auch deren Schlagkraft steigt.

Über die Autorin:

Die Diplom-Kauffrau Birgit Wolf, Berlin, arbeitet unter anderem als Change- und Managementberaterin für das Machwürth Team International (MTI), Visselhövede, das Unternehmen weltweit bei der Strategieumsetzung unterstützt.

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