So verankern Sie Know-how jenseits klassischer Formate

Informationsflut und Kommunikationsstress bewirken auch Lernermüdung: Die Menschen sind einfach „voll“, d.h. mit der schieren Menge an Informationen und Kommunikation kognitiv überlastet. Aber hatten wir dieses Problem nicht auch in den 1970er Jahren? Nein. Die Informationsmengen, die pro Person anfallen, haben sich seit damals verdreißigfacht (!). Ja, Sie haben richtig gelesen. Wir hatten in den 1970er Jahren im mittleren Management ca. 1.000 Korrespondenzstücke pro Jahr, heute sind es 30.000, vorwiegend E-Mails. Das entspricht damals einem Äquivalent von 4 Briefen pro Tag, und heute von 125 E-Mails. Wenn Sie einen Callcenter Agent damit beschäftigen, E-Mails zu beantworten und Sie geben ihm 4 bis 5 Minuten pro E-Mail, dann schafft er in acht Stunden 100 davon. Deshalb werden E-Mails an Sonntag-Abenden, in der U-Bahn, beim Frühstückstisch und nach Feierabend beantwortet. Der Mensch ist auf „permanent standby“ wie das kleine rote Licht auf dem Fernseher. Wir haben nämlich an einem durchschnittlichen Arbeitstag allenfalls auch noch etwas anderes zu tun, als 100 E-Mails, SMS, WhatsApps, Mailboxnachrichten etc. zu beantworten. Der Mensch ist mit Kommunikation und Information hoffnungslos überlastet – und es ist kein Ende in Sicht: die Informationsmengen verdoppeln sich weiterhin jährlich (mindestens) – und dieser Trend macht vor den Organisationsgrenzen freilich nicht Halt. Als neuer, zusätzlicher Stressor des Menschen in seiner evolutionären Entwicklung (Katastrophen und Schicksalsschläge stemmen wir schon immer) haben wir nun keine Ruhephasen mehr. Kommunikations- und Informationsstress sind deshalb übrigens nicht unbeteiligt an einer Zunahme von Burnouts.

Gamification: Wirklich die Lösung gegen Lernermüdung?

In einem solchen Umfeld erwarten wir auch noch aufmerksames Lernen im beruflichen Umfeld. Alleine vor dem Hintergrund der beschriebenen Informationsüberlastung ist es schon schwierig, weitere Inhalte verankern zu wollen. Vielfach wird deshalb auch damit argumentiert, über andere Kanäle wie z.B. über den Spieltrieb zu versuchen, Wissen aufzubauen und zu verankern. Aber wie bei Kindern sind Spiele, auf denen „pädagogisch wertvoll“ draufsteht wenig beliebt, werden als Informationsfalle entlarvt und oftmals nur als zeitaufwändige „Bespaßung“ erlebt. Nur zweckfreie Spiele bauen Stress ab und lenken vom Information Overload ab. Zweckgerichtete Spiele können dies zumeist nicht leisten. Was also tun?

Oft steht Konstruktivismus drauf, aber ist er auch drin?

Aus der Bildungspsychologie wissen wir: Verankern von Gelerntem gelingt so gut wie nur durch eigenes Tun. Weiterbildungs- und Lernformate, die nicht „lernen“ heißen, aber dennoch Lernerfolge im konstruktivistischen Sinn bewirken, sind auch jenseits von formellem und informellem Lernen jene, die sicherstellen, dass ein Praxistransfer stattfindet und dass „echte“ Anwendung bzw. Umsetzung auch Teil des Lernens sind. Es entsteht Verankerung durch Praxisbezug. In einem Lernumfeld das Führen einer Ortsverhandlung zu simulieren oder wirklich an einigen dieser Verhandlungen selbst teilzunehmen könnten von der Lernwirkung her unterschiedlicher nicht sein. Um ein beliebiges Beispiel zu nennen: Verteilen Sie eine Checkliste über den Ablauf und die Elemente eines Informationsaudits, teilen Sie Best Practice Beispiele aus und prüfen Sie all das ab. Dann kommt der Moment der Wahrheit, wenn es das erste Mal darum geht, ein Informationsaudit im Unternehmensumfeld wirklich durchzuführen. Vorneweg: Es wird nicht oder schlecht bis holprig und jedenfalls unsicher laufen. Wenn nun Konstruktivismus in der Lehrmethode drin ist, dann findet die erste Durchführung eines „echten“ Informationsaudits im Umfeld des Lernsettings bereits statt. Die TeilnehmerInnen haben damit in der Realität bereits ein Informationsaudit selbst durchgeführt und werden das später in der Praxis zumeist gut abrufen und umsetzen können.

Die Toolbox: Lernen jenseits klassischer Formate

Wie können Sie diesen Spagat zwischen Überlastung und angreifbaren Ergebnissen nun schaffen – und auf diese Weise informelles Lernen dennoch organisieren? Die folgenden, vielfach praxiserprobten Formate eignen sich dafür:

  1. Best of all Learning: Echte Projekte

So unspektakulär wie erfolgreich: Wenn Sie möchten, dass eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sich ein bestimmtes Thema/Fach aneignen und dieses Wissen im Unternehmen verankern sollen, dann initiieren Sie ein echtes Projekt. Häufig ist es so, dass ein neues Thema deshalb über klassische Inhouse-Schulungen oder externe Trainings, weil intern niemand mit dieser Expertise vorhanden ist oder sich weitere Mitarbeiter diese Disziplin aneignen sollen. Dennoch dauert der Transfer oft lange oder gelingt gar nicht. Mit einem echten Projekt haben Sie unmittelbare Umsetzung, zu Beginn gibt es auch hier ein Briefing für die Projektteam-Mitglieder zu dem jeweiligen Fachthema des Projektes, aber in der Folge wird im echten Projekt gelernt. Gibt es im Haus keine eigene Expertise, dann begleitet (nicht: leitet!) eine externe Expertin bzw. ein Experte oder TrainerIn dieses Projekt. Sofern im Haus die Expertise und Zeitressource zur Verfügung steht, kann diese Funktion auch intern besetzt werden. Interne ExpertInnen können und sollen durchaus auch Projekte leiten, externe nicht. Warum? Wenn Sie einen echten Wissenstransfer ins Unternehmen leisten wollen, dann muss dieses Wissen intern auf selbstverantwortliche Weise aufgebaut und später von zumindest einer Person führend vertreten werden, wenn Sie von externer Beratung unabhängig werden wollen. Wenn MitarbeiterInnen einmal ein Projekt in einem neuen Feld geleitet oder darin an relevanter Stelle mitgearbeitet haben, lernen sie während des Projektes und können nachher abrufen, wie vorzugehen ist und weshalb. Sie erlernen, während Sie bereits konkret Nutzen stiften und echte Erledigungen durchführen, wie die theoretische Fundierung, die sie in einem Kickoff Briefing (durchaus auch schon einmal ein bis zwei Tage je nach Fachthema) hören, in der Realität umzusetzen ist. Der Projektzeitraum ist zumeist komfortabel länger als viele Schulungen je sein könnten. Schulungen verlieren nicht ihre Wichtigkeit, weil sie als Kickoff den Rahmen als Input stecken und Basiswissen vermitteln. Die konkrete Verankerung wird dann mit einem echten Projekt gelegt, das auch noch gleich den Praxisnutzen im Unternehmen stiftet und den Mehrwert ganz konkret erarbeitet. Zentraler Erfolgsfaktor: das Projektmanagement sollte wertschätzenden und begeisterungsfähigen Personen anvertraut werden. Die Kultur im Projekt bestimmt erfahrungsgemäß mit, wie die Inhalte und Themen eines Projektes erlebt und weitergetragen werden. Wenn hier die falschen Persönlichkeiten am Werke sind, kann unter Umständen der gesamte Lerneffekt kaputt gemacht werden. Lernen ist und bleibt nämlich eine sehr soziale Angelegenheit. Gelingt dies, dann haben Sie einen guten Nebeneffekt: Teambuilding, Zusammenhalt und Motivation. Im Lichte der haarsträubenden Gallup Studien über zusammen knapp 90% desangagierte und aktiv desengagierte MitarbeiterInnen könnte es sein, dass dies ein dringend nötiger „Nebeneffekt“ ist, den Sie im Unternehmen schon wirklich gerne haben wollen.

  1. Communities of Practice

Möchten Sie neues Wissen ins Unternehmen einbringen, dann können Sie natürlich mit einem Projekt beginnen (siehe 1.) und Sie werden nachhaltige Verankerung des Wissens erreichen – mit einem motivierenden Projektmanagement auch Teambuilding. Soll ein Thema aber ein langfristig verankert werden, so sollten Sie sicherstellen, dass diese Team-Mitglieder „dranbleiben“ und weiterhin zu diesen Inhalten kollaborieren. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, zu diesem Gebiet eine PraktikerInnen-Gemeinschaft oder Community of Practice (CoP) zu etablieren, die sicherstellt, dass das Thema weiter getrieben, bearbeitet und verbreitet wird. Dazu braucht es jemanden, der die Community organisiert und der/die dafür auch die nötigen Zeitressourcen hat bzw. bekommt. „Nebenbei so mitbetreuen“ ist genau jener Zuruf, der dafür sorgt, dass ein Thema nicht vom Boden kommt. Bedenken Sie: den Mitarbeitern ist nicht langweilig – alle haben mehr als genug zu tun. „Nebenbei“ gibt es deshalb nicht – und wenn Sie es erzwingen, so werden die Ergebnisse sicherlich müde und unbefriedigend sein. Engagement entsteht nicht in der dritten von zehn unbezahlten Überstunden.

  1. Expert Talks

Sie kennen alle die Wissensprimadonnen (es gibt auch männliche!) im Unternehmen. Sie sind laufend mit Rückfragen belagert, hoffnungslos überlastet, immer ein „Flaschenhals“ der Information, man wartet oft lange, weil so viele im Unternehmen die Zeit der Wissensprimadonnen beanspruchen und sie in Dutzenden Meetings sitzen und mit Telefonaten und Anfragen lahmgelegt werden. Wie begeistern Sie diese Menschen für neue Initiativen wie z.B. Wissensmanagement? Anfragen um einen Beitrag zu einem Blog oder einen Eintrag in einer Wissensmanagement Datenbank verhallen maximal mit der Bemerkung: Denkst Du, mir ist langweilig? Nun, wie behandelt man Primadonnen? Primadonnen stellen sich nicht in den Chor und singen mit. Ihr Wertbeitrag und ihr Können sind deutlich höher als jener der anderen, und das wissen sie auch. Achtung: es gibt auch Pseudo-Primadonnen, die das nur von sich annehmen – wir kennen sie alle J. Wenn Sie nun aber überlegen, wie Sie eine solche Wissensprimadonna gewinnen können, dann denken Sie an einen Solo-Auftritt und Wertschätzung. Das Format von Expert-Talks ist eine Möglichkeit, für andere MitarbeiterInnen verfügbar zu machen, was solche ExpertInnen wissen. Ein Vortrag oder Workshop, der die herausragende Expertise dieser Kollegin oder des Kollegen besonders hervorhebt, ist oftmals eine Möglichkeit, diesen höheren Wertbeitrag zum Unternehmen angemessen wertzuschätzen und gleichzeitig die Bereitschaft zu generieren, dass Wissen geteilt wird. Idealweise fixieren Sie länger im Vorhinein die Termine in regelmäßigen Intervallen und erlauben eine gute Vorlaufzeit zur Vorbereitung.

  1. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)

Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) ist eine Methode zu Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung. In kleinen Schritten, jedes Mal bei einem Anlass bzw. in regelmäßigen, kurzen Tages- oder Wochenbesprechungen, in denen aktuelle Verbesserungspotenziale und Fehler diskutiert werden, wird laufend eine Optimierung der Prozess- und/oder Leistungsqualität erreicht. Es handelt sich dabei um ein Instrument aus dem Qualitätsmanagement bzw. aus dem Lean Management.

Der KVP zielt darauf, Arbeitsabläufe zu optimieren, Ressourcen einzusparen, Synergien zu nutzen, die KundInnenzufriedenheit zu erhöhen und auch Kreativität und Engagement der Mitarbeitenden zu wecken und ermöglicht allen Beteiligten laufendes Lernen. Üblicherweise leisten KVP auch einen Beitrag, die Teamarbeit, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Unternehmenskultur zu verbessern.

Grundgedanke des KVP ist es, jeden Tag zu überlegen „wie man es besser machen kann“ (selbst, als Team, als Organisation).

Mit einem KVP können in regelmäßigen, kurzen und disziplinierten Meetings inkrementelle Verbesserungen bewirkt werden und die Organisation kann damit der Exzellenz bzw. hoher Leistungsqualität zustreben.

  1. Design Thinking

In diesem Großgruppenformat wird in mehreren Arbeitsrunden und in Gruppen zuerst die Brille des Auftraggebers aufgesetzt, dann jene der Kunden und dann jene der Rahmenbedingungen, um schließlich in einer abschließenden Runde gemeinsam einen Prototyp einer Lösung zu designen. Es gibt von diesem Format viele Abwandlungen, adaptieren Sie nach Ihren Bedarfen.

  1. World Café

Hierbei handelt es sich um ein weithin bekanntes Großgruppen-Format, bei dem an verschiedenen Tischen unterschiedliche Themen zur Diskussion gestellt werden. Gruppen von Diskutanten wechseln nach 15 Minuten den Tisch und diskutieren an einem anderen Tisch das nächste Thema. Ein Moderator bzw. eine Moderatorin verbleibt am Tisch und fasst nach Ende der Diskussionsrunden die Ergebnisse zu einem Thema zusammen. Typischerweise werden im Anschluss an die Diskussionsrunden die „Tisch-Ergebnisse“ von den ModeratorInnen im Plenum präsentiert. Jedenfalls geht man am Ende einer solchen Session mit dem Input vieler TeilnehmerInnen vom Platz und vermutlich haben die meisten auch noch etwas gelernt.

Weitere Methoden, wie z.B. die Un-Konferenz oder Barcamp, Management Briefings, Skill-Management Plattformen, Elevator Pitch, die Wissensstafette oder Game Changer Wettbewerbe lernen Sie beim diesjährigen Trainerkongress am Wifi Wien im Workshop 5 kennen. Termin: 30. Mai 2015.

Dabei können Sie zwei spannende Methoden wie die Wissensstafette oder Design Thinking mit Rapid Prototyping gleich live ausprobieren! Außerdem erfahren Sie mehr zur Aufmerksamkeitsspanne des modernen Menschen, wie sie beschädigt wurde und wie Sie sie wieder zurückbekommen.

Über die Autorin:

Isabella Mader MSc, sie leitet das Excellence Instituts in Wien, ist Autorin und langjährige Lehrbeauftragte an Hochschulen und Inhouse-Akademien zum Thema Wissens- und Informationsmanagement, IT-Strategie und Kollaboration. Sie hat mehrere interaktive Formate und Curricula entwickelt und baute einen Universitätslehrgang für Corporate Social Communication auf. 2013 erhielt sie die Auszeichnung „Top-CIO des Jahres“.

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