Wenn wichtige unternehmerische Entscheidungen vertagt werden

Werden in Unternehmen strategische Veränderungen trotz besseren Wissens nicht angegangen, hängt dies häufig mit der guten Absicht zusammen, eine Verschlechterung verhindern zu wollen. Ein Wechsel in Schlüsselpositionen führt beispielsweise immer wieder dazu, dass notwendige Entscheidungen in die Zukunft verschoben werden. Doch macht dieses Abwarten Sinn? Und unter welchen Voraussetzungen lassen sich derartige Zwickmühlen vielleicht sogar konstruktiv nutzen?

In der Pause einer Konferenz berichtet die Führungskraft eines international aufgestellten mittelständischen Unternehmens von zu langen Projektlaufzeiten, nicht einhaltbaren Lieferzusagen und der allgegenwärtigen Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung, so dass man zusätzliche Aufträge angenommen habe, obwohl dafür eigentlich keine Kapazitäten vorhanden seien. Am Ende dieser dramatischen Zustandsbeschreibung hält die Gesprächspartnerin kurz inne, zuckt mit den Schultern und erklärt resigniert: „Aber momentan können wir daran nichts ändern. Denn es gibt gerade einen Wechsel im Vorstand.“ Ich bin verblüfft. Auch wenn der Handlungsdruck akut sei und man deshalb eigentlich keine Zeit verlieren dürfe – solle doch erst einmal alles beim Alten bleiben!? Denn: „Man könne und wolle einen neuen Vorstand mit etwaigen Veränderungen doch nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen.“

Einige Wochen später ergibt sich erneut ein interessantes Gespräch mit der Führungskraft eines kleineren Betriebes. Er erzählt, dass hoher Kostendruck und lokale Optimierungen dazu geführt hätten, dass eigentlich notwendige Investitionen „für morgen“ eingespart würden. Mittelfristig sieht er dadurch sogar die Liquidität des Unternehmens gefährdet. Aber zu handeln, wäre momentan unmöglich. In diesem Fall ist es ein neuer Geschäftsführer, der in 2-3 Monaten komme und dem man „keinesfalls vorgreifen dürfe.“

Beide Führungskräfte erkennen die Probleme im Unternehmen, entscheiden aber auch, diese Probleme jetzt nicht zu lösen. Spürbar hadern sie mit der Situation und fühlen sich sichtlich in einer Zwickmühle, sprich „einer schwierigen, verzwickte Lage, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint“ (zitiert nach Duden).

Wenn wichtige unternehmerische Entscheidungen in die Zukunft vertagt werden

Ein Vorstandswechsel steht an – in einigen Monaten. Die Selektionsphase für den vakanten Posten im Top-Management hat gerade erst begonnen. Oder die neue Geschäftsführung ist noch in der Einarbeitungs-/Orientierungsphase. Entscheidungen werden in die Zukunft verschoben, weil ein Wechsel in den Schlüsselpositionen ansteht. Dass hier so vorgegangen wird, erfolgt in allerbester Absicht, zum Beispiel um

  • der neuen Führungspersönlichkeit einen guten Einstieg zu ermöglichen,
  • der neuen Führungspersönlichkeit nicht vorzugreifen, sie nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, oder
  • sich selbst zu schützen, d. h. vor möglichen ungünstigen Auswirkungen von Entscheidungen, die dann von der neuen Führungskraft kritisiert und gegebenenfalls sogar sanktioniert werden könnten.

Alles soll so bleiben wie es ist, bis zum Zeitpunkt X. Die Organisation, das Unternehmen soll auf Basis bereits getroffener Entscheidungen auf Kurs bleiben, sicher und stabil im Tagesgeschäft weiter funktionieren. Kurzum: Man möchte den Status quo einfach konservieren. Eine Wunschvorstellung. Und ein gefährlicher Irrtum. Einerseits ist das Erhalten von Stabilität ein wichtiges Unternehmensziel, denn ein instabiles Unternehmen hat nur geringe Chancen auf langfristigen Erfolg. Um allerdings langfristig stabil zu bleiben, muss ein Unternehmen den Fokus vor allem in die Zukunft richten können. Denn Veränderung findet permanent statt – und das mit einer ständig zunehmenden Dynamik, in der sich Märkte oder auch Kundenbedürfnisse wandeln und Produktlebenszyklen verkürzen. Veränderung ist für Unternehmen deshalb Alltag und es ist überlebenswichtig, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln – und dafür auch notwendige Entscheidungen jederzeit herbeiführen zu können.

Von guten Absichten und negativen Auswirkungen

Stabilität sichern, das Unternehmen auf Kurs halten, Risiken vermeiden. Vor lauter guten Absichten („Man will niemanden vor vollende Tatsachen stellen bzw. niemandem vorgreifen“) müsste man sich vor allem fragen: Sind die Auswirkungen dieser Entscheidung tatsächlich die gewünschten? Dr. Alan Barnard, international führender TOC-Experte, unterscheidet zwischen Fehlern der Handlung (das Falsche tun oder das Richtige falsch tun) und der Unterlassung (das Richtige nicht tun). Die Angst zu Scheitern verleitet Menschen dazu, lieber nichts zu unternehmen als das Falsche. Dabei kann ein „Fehler der Unterlassung“ oft ebenso große negative Folgen haben, durch verpasste Gelegenheiten etwa oder dadurch, dass ein Problem nicht beseitigt wird. Gute Absichten und potentiell ungünstige Auswirkungen liegen also eng zusammen. Denn mit dem „Warten“ und den damit verbundenen guten Absichten können zugleich auch folgende negative Konsequenzen verbunden sein:

  • Die neue Geschäftsführung/Führungskraft trifft in der Regel erst einige Monate nach ihrem Eintritt grundlegende Veränderungsentscheidungen. Erst wenn eine Entscheidung getroffen und umgesetzt ist, kann sie ihre Wirkung für das Unternehmen entfalten. Auf die neue Führungsperson zu warten, verzögert den Eintritt der Wirkung also um mehrere Monate. Das kann dramatische Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit (das Image, den Gewinn…) des Unternehmens haben und damit auch die neue Führungskraft erheblich beeinträchtigen.
  • Eine neue Führungskraft/Geschäftsführung beurteilt ihre neuen Mitarbeiter in der Regel auf Basis der Entscheidungen und Handlungen der jüngsten Vergangenheit. Werden durch das Warten Entscheidungen oder Handlungen verzögert, entsteht daraus der Eindruck von Trägheit/Untätigkeit, was Auswirkungen auf das zukünftige Klima der Zusammenarbeit sowie auf die zukünftige Entwicklung der beteiligten Menschen hat.

Beim Warten auf die neue Führungskraft – unabhängig davon, ob sie noch gar nicht ausgewählt ist, ihr Eintritt erst in der Zukunft bevorsteht oder sich diese noch in der Einarbeitungsphase befindet – entsteht also eine Zwickmühle für die „Wartenden“: Auf der einen Seite müssen sie auf die neue Führungsperson – und auf die Entscheidungen, die diese treffen wird – warten. Auf der anderen Seite dürfen sie genau das nicht tun, „einfach nur“ warten – bis die neue Führungskraft kommt und dann Entscheidungen treffen wird.

Bitte warten oder lieber doch nicht?

Auf den ersten Blick scheint vieles für Entscheidung 1 zu sprechen, auch wenn diese mit einigen Nachteile verbunden ist. Entscheidungsmöglichkeit 2 ist frei von jenen Nachteilen, allerdings mit bestimmten Risiken verbunden … Ob man etwas tut oder eben nicht tut – beides hat seinen Preis, beides hat sowohl Vor- als auch Nachteile. In manchen Situationen ist diese Ambivalenz bewusster wahrnehmbar als in anderen, weil der Preis einer Entscheidung als besonders hoch empfunden wird. Und weil eine eindeutige, widerspruchsfreie Entscheidung gewünscht, aber tatsächlich selten realisierbar ist. Denn, wie Dr. Gunther Schmidt, Begründer der Hypnotherapie treffend feststellt: „Leben ist gelebte Ambivalenz“.

Für die meisten Führungskräfte ist es enorm wichtig, immer wieder zwischen Absicht und Wirkung zu unterscheiden. Sie wünschen sich Zeit für Denkprozesse und lösungsoffene Diskussionen: Wie ist die Absicht, was sind die Auswirkungen? Beides auseinanderzuhalten, sich nicht in eigene Gedankengänge zu verstricken, sondern von außen aus einer Art Steuerposition auf die eigene Situation oder zum Beispiel auf eine Situation im Team oder auf das gesamte Unternehmen zu schauen, ist oft der Moment, in dem einem selbst klar wird: Ich habe vielleicht die tollsten Absichten – aber die Auswirkungen passen nicht. Das verändert viel. Auch weil es um Reputation bzw. die Angst vor Reputationsverlust geht. Stößt jemand einen Veränderungsprozess an und dieser misslingt, dann steht diese Person deutlich mehr in der Wahrnehmung anderer – und ihrer Urteile – als wenn der- oder diejenige genauso weitergemacht hätte wie bisher. Auch wenn dieses „weiter wie bisher“ nicht besonders erfolgreich ist. Deshalb wünschen sich Verantwortliche eine Veränderung, bei der nicht nur plausibel der Weg zum gewünschten Erfolg „vorgezeichnet“ wird, sondern die Veränderung ohne signifikante Risiken für das Unternehmen ist sowie jederzeit verändert oder unterbrochen werden kann.

Klarheit schaffen

Unter welchen Voraussetzungen sollte es also möglich sein, eine Entscheidung für die Veränderung zu treffen und Maßnahmen zu realisieren – auch wenn das Unternehmen gerade auf die Neubesetzung einer Schlüsselposition wartet? Wenn vollkommen klar ist:

  • Wofür ist die Veränderung erforderlich? Geht es z. B. darum, einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung aufzubauen, der darin besteht, dass der Markt weiß, dass dieses Unternehmen außerordentlich schnell ist.
  • Welches Ziel durch die Veränderung selbst erreicht werden soll, z. B. Alle Terminzusagen werden eingehalten
  • Wie das Ziel erreicht werden soll.
  • Dass die Auswirkungen der Zielerreichung für den Erfolg des Unternehmens signifikant sind.
  • Dass durch die Zielerreichung eine Win-Win-Situation
  • Dass mit der Umsetzung der erforderlichen Maßnahme und der Zielerreichung keinerlei Risiko für das Unternehmen verbunden ist.

Eine Entscheidung für eine Veränderung zu treffen, nach erfolgreicher Klärung des „Wofür“, des Ziels, des Weges dorthin, der signifikanten Auswirkungen und dann die entsprechenden Maßnahmen zu realisieren: Ein neuer Vorstand, eine neue Geschäftsführung … kann und darf erwarten, dass genau dies geschieht und proaktiv umgesetzt wird.

Über den Autor:

uwe-techtUwe Techt ist Geschäftsführer der VISTEM GmbH & Co. KG und gilt als Vorreiter im deutschsprachigen Raum für die Nutzung der Theory of Constraints (TOC) und des Critical Chain Projektmanagements. Als strategischer Denker für grundlegende Verbesserungen und Durchbruchsinnovationen ist der Topmanagement Coach auch gefragt als Speaker und Autor.

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