Die Videoberatung von Arbeitsuchenden etablieren

Der Arbeitsmarktservice Burgenland führte mit dem Beratungsunternehmen Seminar Consult Prohaska die Beratung von Arbeitssuchenden per Videokonferenz als Standardangebot ein. Dieses Projekt wurde mit dem eLearning AWARD 2023 ausgezeichnet.

Das Burgenland ist ein ländlich geprägtes Bundesland mit weiten Lauf- und Fahrwegen. Das gilt auch für die An- und Abreise zu den Regionalstellen des Arbeitsmarktservice (AMS) Burgenland. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 waren in Österreich sozusagen über Nacht sowohl die Arbeitssuchenden als auch die Mitarbeitenden des AMS mit der Situation konfrontiert, dass keine Präsenztermine für Beratungsgespräche mehr möglich waren. Zwar fanden vereinzelt noch telefonische Beratungen statt, doch Präsenztermine waren aufgrund der geltenden Kontaktbeschränkungen kaum noch möglich.

Deshalb gelangten die Verantwortlichen beim AMS Burgenland zum Entschluss: Wir müssen die Arbeitsprozesse in unserer Organisation überdenken. Also kontaktierten sie das Beratungsunternehmen Seminar Consult Prohaska, Wien, um mit ihm einen Weg zu suchen, wie man den Arbeitssuchenden auch in Pandemie-Zeiten eine qualitativ hochwertige Beratung bieten kann – mit Hilfe online durchgeführter Videokonferenzen.

In den Gesprächen mit Sabine Prohaska, der Inhaberin des Beratungsunternehmens, zeigte sich rasch: Die beim AMS bereits vorhandene Webex Meeting-Software eignet sich technisch, um Online-Beratungen per Videokonferenzen in der gewünschten Form anzubieten. Zugleich wuchs jedoch der Wunsch, die hierfür geschaffene Infrastruktur nicht nur während der Covid-Krise zu nutzen, sondern das Beratungsangebot des AMS grundsätzlich, um die neue Dienstleistung Online- bzw. Videoberatung zu erweitern.

Herausforderung: Die BeraterInnen als MitstreiterInnen gewinnen

Beim Planen des hierfür erforderlichen Projekts war der Projektgruppe klar:

  • Videoberatungen lassen sich nur schwer mit dem Credo vieler AMS-BeraterInnen vereinbaren, dass eine qualifizierte Beratung ein persönliches Treffen des Beraters mit seinem Klienten voraussetzt. Und:
  • Dieses Credo lässt sich vermutlich oft nur schwer auflösen, weil sich hierin nicht selten auch die teils jahrzehntelange Berufserfahrung der BeraterInnen widerspiegelt, bei der die Beratungen fast ausschließlich face-to-face, also bei persönlichen Treffen erfolgten.

Deshalb bestanden erhebliche Zweifel, inwieweit alle BeraterInnen dazu bereit sein würden,

  • sich auf eine so weitreichende Veränderung ihrer gewohnten Arbeitsweise einzulassen und
  • im Beratungsbereich sozusagen absolutes Neuland zu betreten.

Deshalb integrierte der stellvertretende Leiter der Abteilung Service für Arbeitskräfte beim AMS Burgenland Günther Hack die Beraterin Anita Zetthofer aus der regionalen Geschäftsstelle in Mattersburg in das Projekt, da sie zu den wenigen der insgesamt 71 BeraterInnen im Burgenland zählte, die schon praktische Erfahrung mit der Videoberatung hatte.

PionierInnen fungieren in dem Projekt als MultiplikatorInnen

Beschlossen wurde ein Projekt zur Einführung der Videoberatung, das sich in fünf Phasen gliederte. 

Phase 1: Planung und Konzeption

In dieser Phase erfolgte die Planung der Einführung der von der Geschäftsführung gewünschten Videoberatung. Dabei lautete eine Vorgabe: Der AMS Burgenland möchte generell den Digitalisierungsprozess in seiner Organisation vorantreiben. Deshalb soll das Beratungsangebot des AMS dauerhaft um das digitale Angebot Videoberatung erweitert werden.

Als mittelfristiges Projektziel wurde zudem ursprünglich formuliert: Bis Ende Juni 2022 sollen alle AMS-BeraterInnen in der Videoberatung geschult und von dieser Beratungsform überzeugt sein. Diese Zielvorgabe wurde, wie Sabine Prohaska erläutert, auf 80 Prozent reduziert,

  • um eine „Zwangsbeschulung“ einzelner BeraterInnen zu vermeiden und
  • dem Entstehen unnötiger Widerstände vorzubeugen.

Den skeptischen BeraterInnen sollte stattdessen die Möglichkeit geboten werden, den Veränderungsprozess neugierig zu beobachten, um dann aufgrund der Erfahrungen ihrer KollegInnen ihre Einstellung eventuell zu revidieren.

Phase 2: Ausbildung von Videoberatung-PionierInnen

In dieser Phase wurden die regionalen AMS-Geschäftsstellen zunächst gebeten, in ihren Reihen Mitarbeitende zu identifizieren,

  • die einer Videoberatung offen gegenüber stehen,
  • daran interessiert sind, sich zu VideoberaterInnen ausbilden zu lassen, und
  • nach ihrer Ausbildung bereit sind, als MultiplikatorInnen in ihrer jeweiligen Geschäftsstelle zu fungieren.

Jede Geschäftsstelle sollte entsprechende MitarbeiterInnen benennen, die fortan PionierInnen genannt wurden.

Anfang Dezember 2021 fand der erste einer Reihe von Online-Workshops mit diesen PionierInnen statt. Eine Zielvorgabe für diese Projektphase lautete: Bis zum Ende des 1. Quartals 2022 sollen die PionierInnen insgesamt etwa 100 Videoberatungen durchgeführt haben, sodass dann

  • in jeder Geschäftsstelle bereits mindestens ein Mitarbeitender mehrere Videoberatungen durchgeführt hat und
  • seinen KollegInnen von seinen (positiven) Erfahrungen hiermit berichten kann.

Phase 3: Roll-out; 80 Prozent der BeraterInnen werden geschult

In dieser Phase, die bis Ende Juni 2022 dauerte, wurden die angestrebten 80 Prozent der BeraterInnen geschult. Bei den Schulungen handelte es sich um drei-stündige Online-Seminare und -Trainings mit maximal 12 Teilnehmenden. Diese fanden via Webex Meeting statt und wurden von Günter Hack, Anita Zetthofer und Sabine Prohaska moderiert. Gegen Ende jeder Schulung wurde eine Checkliste erstellt, die die BeraterInnen im Nachgang unterstützen und ihnen im Arbeitsalltag Sicherheit und Orientierung bieten sollte.

Phase 4: Evaluation des Projekts

Zur Steuerung und Evaluierung des Projekts wurden relevante statistische Daten erhoben. Außerdem wurde unmittelbar nach den Schulungen und circa 1,5 Monate später das Feedback der BeraterInnen eingeholt. Auch die KundInnen wurden nach den Videoberatungen, um ein Feedback zu dieser Beratungsform gebeten. Zudem fand im Herbst 2022 eine allgemeine Befragung der AMS-Kunden statt, um deren Zufriedenheit zu erfassen.

Phase 5: Verankerung der Videoberatung im AMS

In der letzten Phase lautete das Ziel: Auch die BeraterInnen sollen für eine Videoberatung-Schulung gewonnen werden, die bisher aufgrund bestehender Vorbehalte noch nicht hieran teilnahmen, damit das ursprüngliche Ziel „Bis Ende 2022 sind alle BeraterInnen in der Videoberatung geschult“ erreicht wird. Dieses Ziel wurde erreicht. Zudem wurde in die Grundausbildung neuer BeraterInnen eine entsprechende Schulung integriert, damit die Videoberatung nicht nur ein Standardangebot der AMS ist, sondern auch bleibt.

Der AMS Burgenland: ein Vorreiter bei der Videoberatung

Bis Juli 2022 wurden in ganz Österreich vom AMS 727 Videoberatungen von Erwerbssuchenden durchgeführt – davon 45 Prozent im AMS Burgenland. Damit zählten dessen regionale Geschäftsstellen zu den Vorreitern in Sachen Videoberatung in Österreich. Deutlich spürbar war laut Aussagen von Sabine Prohaska im Projektverlauf wie

  • sich die ursprünglichen Vorbehalte der eher skeptisch eingestellten BeraterInnen gegenüber der Videoberatung zunehmend auflösten und
  • ihr Interesse stieg, selbst ebenfalls an einer entsprechenden Schulung teilzunehmen, um sich für diese Form der Beratung zu qualifizieren.

Und nach der Schulung waren ihre ursprünglichen Vorbehalte fast immer restlos verschwunden. Das beweisen den Projektverantwortlichen zufolge ihre in der Regel äußerst positiven Rückmeldungen – sowohl nach der Schulung als auch Wochen später. Ein ähnliches Bild ergab die im Herbst 2022 durchgeführte KundInnen-Umfrage: Sie zeigte eine hohe Akzeptanz und Zufriedenheit mit dieser Beratungsform, und das bei einer bezogen auf ihre Affinität zur Digitaltechnik sehr heterogen Zielgruppe.

Mitte 2020, also wenige Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie, stuften noch fast 60 Prozent der Coaches und BeraterInnen, die Menschen bei Lösen persönlicher Problemstellungen unterstützen, im deutschsprachigen Raum videobasierte Beratungen als einen minderwertigen Ersatz für eine persönliche Beratung bei Präsenzterminen ein. Je mehr praktische Erfahrung sie jedoch mit der Videoberatung sammelten, umso mehr trat an die Stelle dieser negativen Einstellung eine differenziertere Betrachtung. Die Online-Beratung wurde von ihnen zunehmend als Chance erkannt, ihr Interventionsrepertoire zu erweitern und den veränderten Rahmenbedingungen in der modernen, zunehmend digitalen Welt anzupassen.

Jury stuft das AMS-Projekt als „vorbildlich“ ein

Eine ähnliche Entwicklung durchliefen in dem Projekt die AMS-BeraterInnen. Dieser Change setzte jedoch eine hohe Sensibilität für ihre Bedürfnislage sowie Fingerspitzengefühl und Geduld voraus. Als richtig erwies sich denn auch die Entscheidung, die Beraterinnen nicht zu einer Teilnahme an den Online-Schulungen zu nötigen, sondern auf die positive Wirkung zu vertrauen, die von den positiven Rückmeldungen ihrer KollegInnen, die als PilotInnen fungierten, ausgeht. Nur so konnte sich die Videoberatung zu einem allgemein akzeptierten zusätzlichen, dauerhaften Beratungsangebot des AMS entwickeln. Dieses stößt auch bei den Erwerbssuchenden auf eine immer größere Nachfrage, unter anderem weil hierdurch für sie oft lange Anfahrtswege entfallen und Ressourcen gespart werden, wovon auch die Umwelt profitiert.

Aufgrund des Projektdesigns und der erreichten Ziele entschied denn auch die Jury des eLearning Award, den die Zeitschrift eLearning Journal jährlich vergibt: Das AMS Burgenland und Seminar Consult Prohaska werden mit dem eLearning Award 2023 in der Kategorie „Change Management“ ausgezeichnet.

Über den Autor:

Silas Koch arbeitet u. a. als (Online-)Journalist für die PRofilberater GmbH, Darmstadt. Er ist auf Management- und Digitalisierungsthemen spezialisiert.

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